Sachsen-Anhalt. Privatisierung. Korruption.

Seltsame Ermittlungen in Sachsen-Anhalt: Wie die Staatsanwaltschaft Magdeburg einen anonymen Hinweisgeber kriminalisiert, statt die Machenschaften der Privatisierer unter die Lupe zu nehmen. Eine Reportage von A. Ginzel, M. Kraushaar, C. Rohde für Frontal21.

Bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg gehen 2006 mehrere anonyme Anzeigen ein. Der Vorwurf: Angebliche Korruption beim Betreiben einer Biogasanlage im Norden Sachsen-Anhalts. Doch statt den Vorwürfen nachzugehen, sucht die Staatsanwaltschaft den Urheber der Anzeigen.

Den Dienstag im Juni dieses Jahres, an dem drei Kommissare des Dezernats für Wirtschaftskriminalität seine Wohnung durchsuchten, wird Bernhard Behrendt nicht vergessen. Seite für Seite lesen sich die Beamten durch Behrendts Papierstapel. Er soll – so der Verdacht – in anonymen Briefen Politiker und Unternehmer der Korruption beschuldigt haben.

Dabei ist Behrendt als Hauptpersonalrat im Landwirtschaftsministerium Vertrauensmann von rund 4000 Mitarbeitern. „Das sitzt. Das hat getroffen, und ich bin nicht bereit, mir das gefallen zu lassen“, sagt Behrendt. Er bestreitet, jemals irgendjemanden anonym angezeigt zu haben.

Anonyme Anzeigen
Der Anlass für die Durchsuchung: Zwischen Februar und November 2006 gehen mehrere anonyme Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg ein. Immer wieder beschäftigen sie sich mit dem privaten Betreiber einer Biogasanlage im Norden Sachsen-Anhalts und mit angeblichen haushaltsrechtlichen Verstößen.

Eine Anzeige vom 15. Oktober 2006 nennt Einzelheiten angeblicher Korruption: Firmennamen, Anschriften und Telefonnummern. Auf Grund der „starken Informationsdichte“ und des Detailreichtums „hätte die Staatsanwaltschaft ermitteln müssen“, sagt Prof. Erich Schöndorf, ehemaliger Staatsanwalt für Wirtschaftsstrafsachen. Doch die Staatsanwaltschaft Magdeburg bleibt untätig. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht, sagt sie bis heute – die Korruptionsvorwürfe seien nicht mit Fakten untermauert.

Dabei wurde schon der Verkauf des Gemeindewerkes, auf dem heute die Biogasanlage betrieben wird, vom zuständigen Rechnungsprüfungsamt untersucht. Die Gemeinde hatte das kommunale Unternehmen zu einem Schnäppchenpreis von rund 25.000 Euro zuzüglich Darlehensverpflichtungen an einen privaten Betreiber verkauft. Laut Auskunft des Käufers betrugen die Darlehensverpflichtungen 180.692 Euro. Die Prüfer stellen in ihrem Schlussbericht fest: “ … dass sich das bilanzielle Vermögen der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Veräußerung am 31.12.2003 auf 404.695,73 Euro belief und bei der Veräußerung der Geschäftsanteile so keine Berücksichtigung fand. Allein das Eigenkapital betrug zu diesem Zeitpunkt 63.070,34 Euro.“

Warum, fragten die Prüfer, musste der Käufer nur gut 25.000 Euro bezahlen? „Als mögliche Tatbestände wären Betrug beziehungsweise Untreue aufzuklären und das gegebenenfalls mittels einer Strafanzeige“, heißt es in dem Gutachten. Doch eine Strafanzeige des zuständigen Bürgermeisters verläuft im Sande.

Inzwischen wird die Biogasanlage in Partnerschaft mit dem Land Sachsen-Anhalt betrieben. Der private Partner ist ein hochrangiger CDU-Funktionär in Sachsen-Anhalt, der öffentliche das Landwirtschaftsministerium. Das soll, so ein anonymer Anzeiger, dem Betreiber finanzielle Vorteile eingeräumt haben. Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Hermann Onko Aeikens, CDU, soll sich laut anonymer Anzeige angeblich für seinen Parteifreund als Betreiber der Biogasanlage eingesetzt haben. Die beiden kennen sich seit Jahren. Beide weisen die Vorwürfe von sich. Der Betreiber soll auch mit der Landwirtschaftsministerin, Petra Wernicke, CDU, verbunden sein – ihre Tochter ist bei seinem Betrieb angestellt.

Diese persönlichen Beziehungen veranlassen die Staatsanwaltschaft ebenso wenig zu Ermittlungen wie die – so Kritiker – ungewöhnlich guten Konditionen für den Betreiber der Biogasanlage: Das Land garantiert die Abnahme der produzierten Bioenergie für 15 Jahre. Außerdem liefert das Land kostenlos einen Teil der Rohstoffe.

Die Ministerin hält die Vorwürfe für absurd: „Es hat sich das Parlament, der Agrarausschuss, mit diesem Vertragswerk befasst und hat diese vertragliche Regel als korrekt bezeichnet. Und hat keinen Vorteil für wen auch immer daraus geschlussfolgert.“ Doch der Vorsitzende des Agrarausschuss, Hans-Jörg Krause, Die Linke, widerspricht. Er will die Verträge nie gesehen haben. Im Interview mit Frontal21 sagt er, die Liefer- und Leistungs-Verträge, insbesondere die Vereinbarungen zwischen dem Betreiber und der Gemeinde, seien dem Ausschuss bisher nicht vorgelegt worden.

Auch diesen Widerspruch hätte die Staatsanwaltschaft Magdeburg prüfen können. Doch sie schließt die dünne Akte zu den Korruptionsverdächtigungen aus den anonymen Anzeigen. Stattdessen wird Oberstaatsanwalt Klein in anderer Sache tätig: Er ermittelt gegen den anonymen Anzeiger.

Hausdurchsuchung
Der Verdacht fällt auf Hauptpersonalrat Behrendt. Auf rund 150 Seiten werden Indizien gegen Behrendt zusammengetragen, die zu einer Hausdurchsuchung führen. Im polizeilichen Ermittlungsbericht, der Frontal21 vorliegt, heißt es, Behrendt habe ein „sehr angespanntes Verhältnis zur Hausleitung“ und benutze „das Schriftbild Times New Roman“. Dem Kriminalkommissar fällt auf: „Behrendt habe linksbündige Gliederung gewählt.“ Das reicht Oberstaatsanwalt Klein, um Behrendts Wohnung durchsuchen zu lassen.

Nach der Hausdurchsuchung klagt Behrendt. Das Landgericht Magdeburg gibt ihm recht: Die Auswahl einer Standardschrift, die weltweit millionenfach täglich benutzt werde, begründe keinen ausreichenden Tatverdacht, sagt Thomas Kluge, Richter am Landgericht Magdeburg. Die Durchsuchung war nicht rechtmäßig. Nach über zehn Monaten wird das Verfahren gegen Bernhard Behrendt eingestellt. Was an den Korruptionsvorwürfen dran ist, bleibt unaufgeklärt.

http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/9/0,1872,7104617,00.html

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