Nach der Wahl mit Schwarz-Gelb

Moskau machts vor, was zu erwarten ist von der neuen Regierung zur Sanierung des durch die kriseninduzierten Rettungspakete noch mehr ins Defizit gerutschten Staatshaushalts:
Moskau schiebt Privatisierung an
Das Loch im Haushalt zwingt Russland zu Privatisierungen und damit zu einer Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Am 22.9. beschloss die russische Regierung den Rahmen für das Budget des nächsten Jahres: 2010 droht ein Defizit von 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Finanzminister Alexej Kudrin betonte, die Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsbeteiligungen an Unternehmen könnten helfen, die Löcher im Haushalt zu stopfen.

Bisher hat die Regierung dafür vor allem auf den Reserve-Fonds zurückgegriffen, in den während der vergangenen Boomjahre die Überschüsse aus dem Rohstoffverkauf flossen. Allein um das Budgetdefizit von rund acht Prozent in diesem Jahr auszugleichen, müssen rund 46 Mrd. Dollar aus dem Fonds fließen. Das Finanzministerium hatte wiederholt gewarnt, dass die Reserven dahinschmelzen könnten, wenn nicht neue Finanzierungsquellen hinzukämen.

Russische Medien berichteten unter Berufung auf den ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten Igor Schuwalow, dass der Staat unter anderem seinen Anteil von 75 Prozent an Rosneft, dem größten Ölförderer des Landes, reduzieren und sich mit einem Kontrollpaket von knapp über 50 Prozent begnügen will. Wann dieser Schritt erfolgen soll, blieb offen.

Schuwalow hatte in einem Interview angekündigt, der Staat werde sich von Beteiligungen an rund 5500 Unternehmen trennen und diese an die Börse bringen. Damit könne man noch in diesem Jahr beginnen. Es sei der Zeitpunkt gekommen, da Russland zur Privatisierung zurückkehren könne, sagte Schuwalow: „Als die Wirtschaft brummte, haben wir unsere Reserven aufgefüllt und nicht viel über Privatisierung geredet. Sie war praktisch tot.“ Als Verkaufsoptionen für dieses Jahr nannte Schuwalow unter anderem die staatliche Beteiligung von 20 Prozent an der Reederei Sovcomflot. Das Gros der Privatisierungen werde voraussichtlich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres beginnen.

Russland hatte in den Jahren des Energiepreisbooms die Liberalisierung seiner Wirtschaft bis auf wenige Zweige wie die Stromerzeugung gebremst und im Gegenteil sogar begonnen, den staatlichen Einfluss auf sogenannte „strategische“ Branchen wie den Energiesektor erheblich auszubauen. So entstanden etwa auch in der Flugzeug- und Atomindustrie staatliche Holdings. Als eine der mächtigsten Korporationen gilt Rosstechnologij unter der Leitung von Sergej Tschemesow, einem Vertrauten von Premier Wladimir Putin, der inzwischen über 500 Beteiligungen gesammelt hat. Die Staatsholdings stehen seit längerem in der Kritik des eher wirtschaftsliberalen Teils der Führung. Sie gelten als undurchsichtig, korrupt und ineffizient. Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew hatte jüngst eine Prüfung der Korporationen durch die Staatsanwaltschaft angeordnet.

Die Wirtschaftskrise dürfte Russland so schwer getroffen haben wie kaum ein anderes industrialisiertes Land. Nach offiziellen Schätzungen wird das BIP in diesem Jahr um 8,5 Prozent schrumpfen. Schon vor der Krise hatte auch Putin betont, dass die großen Staatsholdings börsentauglich werden sollten. „Die Krise motiviert die Regierung jetzt, die mittelfristig geplanten Privatisierungen vorzuziehen“, sagt Frank Schauff, Chef der Association of European Business (AEB) in Russland. Allerdings sei noch nicht feststellbar, dass sie nun auch offensiv auf ausländische Investoren zugehe.

Andere Beobachter ziehen den Zeitpunkt für die Privatisierungspläne in Frage: So hat zwar der russische Aktienindex RTS seit Jahresbeginn um 88 Prozent zugelegt und damit einen Teil seiner herben Verluste vom vergangenen Jahr wettgemacht – der Anstieg ist aber vor allem eine Folge des gestiegenen Ölpreises. Wie lange das „Fenster der Möglichkeiten“ noch offen stehe, sei schwer zu sagen, schätzt ein hochrangiger westlicher Bankmanager. Immerhin kehre das Interesse ausländischer Investoren langsam zurück. Im Blick sind nun vor allem die Börsenpläne russischer Firmen, die wegen der Krise verschoben wurden.

Quelle: Thomas Wiede, Handelsblatt

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