Estland kauft Bahn zurueck – Deprivatisierung ohne Folgen?

Die WOZ schreibt: 
Bevor der Verkehr ganz zusammenbricht, kauft der Staat die Bahn zurück. Aber hat er was daraus gelernt?
Auf der Hauptstädteverbindung zwischen dem estnischen Tallinn und dem lettischen Riga fahren keine Personenzüge mehr. Auf dem Trassee ist oft nur noch eine Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern möglich. Auch zwischen anderen Städten reist man mit dem Bus schneller, billiger und mit besseren Verbindungen. Estlands Bahn ist heruntergewirt- schaftet, und der Grund dafür ist die Privatisierung. Schon vor Jahren hatte die Tageszeitung «Postimees» geschrieben: «Wenn das Geld den Zugverkehr bestimmt, landet er auf dem Abstellgleis.»
Estlands Privatisierungskommission hatte in den neunziger Jahren stolz verkündet, die Zerschlagung der Eisenbahn sei Teil des «radikalsten jemals gemachten Versuchs, ein staatliches Monopol zu brechen». Die baltische Sektion der Staatsbahn der ehemaligen Sowjetunion war in Häppchen aufgeteilt und an Privatfirmen aus den USA, Britannien und Estland verkauft worden. Der Güterzugverkehr und grosse Teile der Netzinfrastruktur fielen an die Gesellschaft Eesti Raudtee. Dass neben dem Zugbetrieb auch das Schienennetz aus der nationalen Verantwortung an Privatinteressen übertragen wurde, war von Anfang an kritisiert worden: Zumindest das Netz müsse unter staatlicher Kontrolle bleiben. Die BefürworterInnen der Privatisierung entgegneten, dass der Staat ja weiterhin ein Drittel der Anteile von Eesti Raudtee und damit Einfluss behalten werde.
Tatsächlich hatte aber die private Zweidritteleigentümerin Baltic Rail Services (BRS) das alleinige Sagen, eine Gesellschaft von hauptsächlich US-amerikanischen InvestorInnen. Und sie lieferte praktisch vom ersten Tag an negative Schlagzeilen. Mit Meldungen über Sicherheitsprobleme, weil das Schienennetz mit ausrangierten schweren Dieselloks aus den USA ruiniert wurde und weil die meisten der mit BRS vereinbarten Investitionen nicht getätigt wurden.
Als die Regierung in Tallinn sich das nicht länger bieten lassen wollte und mit empfindlichen Konventionalstrafen drohte, bot die BRS den Verkauf ihrer Anteile an. Erste Verhandlungen über eine Wiederverstaatlichung scheiterten im Februar an unvereinbaren Preisvorstellungen. Die BRS versuchte daraufhin den Verkauf an russische und deutsche InteressentInnen, doch ohne Erfolg. Die Gesellschaft hatte im August einen Plan für die kommenden Jahre mit einem beinahe vollständigen Investitionsstopp vorgelegt, aufgrund dessen der baldige Zusammenbruch des Bahnverkehrs vorherzusehen war. Daraufhin zog die Regierung in Tallinn die Notbremse: «Wir können nicht mehr länger herumsitzen und zusehen», sagte Wirtschaftsminister Edgar Savisaar. Vom Parlament wurde ein Nachtragshaushalt beschlossen, in dem nun über 280 Millionen Franken für eine Wiederverstaatlichung noch in diesem Jahr reserviert sind. Das ist zweieinhalb Mal so viel Geld, wie die BRS vor fünf Jahren bezahlt hatte. Für die InvestorInnen bei BRS ein glänzendes Geschäft, denn sie haben nach Einschätzung von InsiderInnen Eesti Raudtee nicht nur ausgeplündert, sondern auch als Sicherheit für günstige Bankkredite benutzt. Übrig geblieben sei eine wertlose Gesellschaft, die all ihrer Aktivposten beraubt worden sei.
Aus dem teuren Abenteuer hat man in Tallinn offenbar zumindest eines gelernt. Die Gleis- und Signalanlagen sollen auch im Falle einer neuen Privatisierung Staatseigentum bleiben. Für den Verkehrsbetrieb sucht die Regierung hingegen neue private AkteurInnen. Estnische Medien nennen neben russischen und estnischen InvestorInnen auch die Deutsche Bahn mit ihrer Güterzugfirma Railion als Kaufinteressentin. Railion ist bereits in mehreren westeuropäischen Ländern aktiv (darunter in der Schweiz) und könnte durchaus ein Interesse an einer Expansion nach Osteuropa haben. Eesti Raudtee ist vor allem wegen des russischen Transitverkehrs zu Estlands Ostseehäfen interessant. Zudem gibt es Pläne für eine Güterzugverbindung von der Ostsee zum Pazifischen Ozean und für einen Containerverkehr von Nordeuropa nach China. Die Bahnen und Häfen des Baltikums könnten dabei eine zentrale Rolle spielen.

Copyfight!

Copyfight! ist ein kollaboratives Redaktionssystem zur Herstellung von Fernsehprogrammen. Die Software besteht aus einer Internetschnittstelle, einem Filmarchiv und einem Interface für die Programmgestaltung.

Unter der Verwendung von Medieninhalten aus dem Internet und P2P-Netzwerken ermöglicht Copyfight! einer kleinen Gemeinschaft einen lokalen Fernsehsender zu betreiben. Über ein Webinterface bestimmen die Fernsehzuschauer den Inhalt ihres Senders. Ein Experimentierfeld zwischen den Medien Fernsehen und Internet entsteht.

Copyfight! soll eine Ausgangslage schaffen, damit auch die Partizipation von Fernsehzuschauern als Produzenten und Programmgestalter gewährleistet ist. Die Gestaltung des Projektes zielt auf eine Politik des freien Zugangs und Austausches.

Die Software von Copyfight! ähnelt in ihrer Struktur und ihrem Sinn einigen Tools, welche im Verlaufe der Neunzigerjahre für offene Radiostationen oder Piratenradio-Sender entwickelt wurden. Diese netzgestützten Tools hatten das Ziel, die Ausübung der aktiven Medienfreiheit wesentlich zu vereinfachen.

Pressespiegel: Trubel in der Linken um Privatisierungspolitik

Tagesspiegel, 04.07.2006
Für PDS-Realos ist Lafontaine ein Problem. Staatsverständnis ist einer der Streitpunkte
Von Matthias Meisner
Berlin – In der PDS wächst die Sorge, dass Oskar Lafontaine in einer vereinigten Linken zu mächtig werde könnte. Mehrere prominente Landes- und Bundespolitiker verständigten sich unter der Überschrift „Abschied und Wiederkehr“ auf einen „Aufruf aus der PDS zur neuen Linkspartei“. Das Papier verzichtet zwar auf eine direkte Abrechnung mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. In einer ganzen Reihe von Punkten gehen die Unterzeichner aber auf Abstand zu Positionen Lafontaines, die dieser vor wenigen Wochen im Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei durchgesetzt hatte. Unter dem Einfluss Lafontaines könnte die neue Linkspartei programmatisch zurückfallen, heißt es aus dem Kreis der Autoren. Streitpunkte sind unter anderem das Staatsverständnis der neuen Linken, aber auch die Haltung zu Regierungsbeteiligungen. Unterzeichner des Papiers sind unter anderem die Landesvorsitzenden aus Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Klaus Lederer, Thomas Nord und Matthias Höhn, daneben dem Reformflügel zuzurechnende Bundespolitiker wie Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, Vizeparteichefin Katina Schubert und der Berliner Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich. Für die Klausurtagung der 53 Bundestagsabgeordneten, die am Montag in Rostock-Warnemünde begann, liefert das Papier Zündstoff. Lafontaine streitet für eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, kämpft kategorisch gegen den Abbau des öffentlichen Dienstes. Die Autoren des PDS-Papiers, das dem Tagesspiegel vorliegt, werben dagegen für mehr Differenzierung, stellen die Bedeutung des Kompromisses in der politischen Auseinandersetzung heraus: Es reiche heute „nicht aus, nur auf den Staat, seine Gesetze und sein Geld zu schauen“. Das Versagen der Reformpolitik erkläre sich auch „aus dem fehlenden innovativen Unterbau in der Gesellschaft, aus der alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat“. Der Aufruf erinnert auch an die Erfahrungen der PDS in Parlamenten und Landesregierungen, ein „großer Vorteil“, den man hart erarbeitet habe.
Schon in der jüngsten Vergangenheit hatte es mehrere kritische Wortmeldungen gegeben. Sachsen-Anhalts PDS-Chef Höhn sowie der dortige Fraktionsvorsitzende Wulf Gallert – Mitunterzeichner auch des neuen Papiers – hatten in Lafontaines Gründungsmanifest „keine tragfähige Basis“ für eine Vereinigung erkannt. Die Gefahr des inhaltlichen Scheiterns sei „sehr real“, sagte Gallert dem „Neuen Deutschland“. Thomas Falkner, früherer Leiter der Strategieabteilung in der Parteizentrale, warnte, die Preisgabe der „alten PDS“ und die „Überforderung der WASG“ würden die „große historische Chance“ der neuen Linken zerstören. Zusammen mit der brandenburgischen Fraktionschefin Kerstin Kaiser kritisierte Falkner, die Linkspartei sei derzeit „faktisch nicht beziehungsweise nur unter großen internen Störungen“ regierungsfähig.

Junge Welt 08.07.2006, Titel, Seite 1
Privat zum Sozialismus
Rainer Balcerowiak
Geht es nach dem Willen von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, dann wird sich die Linkspartei.PDS an einer von der WASG und anderen Gruppen geplanten bundesweiten Antiprivatisierungskampagne im Herbst nicht beteiligen. In einer jW vorliegenden Beschlußvorlage, die am Montag im Parteivorstand abgestimmt werden soll, heißt es klipp und klar: »Die Forderung ›keine Privatisierung‹ resp. ›Den Privatisierungswahn stoppen‹ ist in dieser Form nicht für eine politische Kampagne geeignet, weil zu unbestimmt und abstrakt.« Zudem kollidiere die geplante Kampagne mit den für diesen Zeitraum geplanten bundesweiten Aktionen für einen gesetzlichen Mindeslohn, die bis November durchgeführt werden sollen. Doch in dem Antrag von Bartsch wird deutlich, daß es keinesfalls um terminliche Mißhelligkeiten geht. In den zur Begründung formulierten »Thesen zum weiteren Umgang mit diesem Politikfeld« wird die bisher von der Bundespartei und auch der Bundestagsfraktion formulierte strikte Ablehnung von Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Frage gestellt: »Privatisierungsbestrebungen von Bund, Ländern und Kommunen haben (…) auch einen Ansatzpunkt im realen Zustand der öffentlichen Haushalte, der öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen.« Statt einer undifferenzierten Antiprivatisierungshaltung müsse die Partei »Positiv- und Negativkriterien« für den Verkauf öffentlichen Eigentums entwickeln.
Dem Autor dürfte die Brisanz seines Vorstoßes klar sein. In der Partei und auch aus den Reihen der WASG gab es in den letzten Wochen und Monaten massive Kritik am Verhalten von Kommunal- und Landespolitikern der Linkspartei.PDS besonders in Dresden und Berlin. In der sächsischen Landeshauptstadt stimmte eine Mehrheit ihrer Fraktion dem Komplettverkauf der städtischen Wohnungen zu. In Berlin haben mitregierende Sozialisten unter anderem einer Gesetzesnovelle zur Renditegarantie für die privatisierten Wasserbetriebe zugestimmt, in der die Kalkulationsgrundlagen für vereinbarte Preiserhöhungen zum »Geschäftsgeheimnis« erklärt und somit der Kontrolle der Abgeordneten entzogen werden. Auch das Gesetz zur Sparkassenprivatisierung kommt aus dem Haus eines Linkspartei.PDS-Senators. Diese neoliberale politische Praxis hatte unter anderem Oskar Lafontaine intern und öffentlich scharf kritisiert, und auch die gemeinsame Linksfraktion im Bundestag hat sich in Erklärungen – zuletzt auf einer Fraktionsklausur in dieser Woche – mehrheitlich gegen weitere Privatisierungen ausgesprochen. Da will Bartsch offensichtlich gegensteuern. In der Linken und in seiner Partei sei »durchaus streitig, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muß und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muß.« Kontroversen gebe es auch in der Frage »inwieweit die Antwort auf Markt und Profitdominanz zwingend öffentlicher Dienst, administrative Regulative und öffentliches Eigentum sein müssen«. Das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS stelle »nicht eine bestimmte Eigentumsform in den Mittelpunkt«. Denkbar sei außer öffentlichem Eigentum auch »progressive Entstaatlichung« als »notwendiger Teil einer Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus«. Man darf gespannt sein, ob der Parteivorstand am Montag der Idee, mittels Privatisierungen zum Sozialismus zu kommen, mehrheitlich folgen wird.

Lnkszeitung.de, 09.07.2006
WASG plant bundesweite Kampagne gegen Privatisierung Gegen Verschleuderung öffentlichen Eigentums
Berlin (ppa). Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG, haben jetzt ihre Absicht bekundet, gemeinsam mit Linkspartei, GlobalisierungskritikerInnen, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. „Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muss jetzt endlich Schluss gemacht werden“, so Weck und Händel am Sonntag. Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, dass der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden.
Die WASG hatte auf ihrem Bundesparteitag im April u.a. die Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ beschlossen. Ähnlich beschloss die Linkspartei.PDS auf ihrem zeitgleichen Bundesparteitag in Halle/S. eine Kampagne „Privatisierungswahn stoppen – Öffentliche Daseinsvorsorge erhalten“.

Tagesspiegel, 10.07.2006
Linkspartei zankt um Privatisierung
Berlin – Zum zweiten Mal binnen weniger Tage versucht der Reformerflügel der PDS, die Partei auf mehr Realitätssinn einzuschwören. In einer Vorlage für die Sitzung des Parteivorstands an diesem Montag in Berlin schlägt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch vor, auf eine geforderte Kampagne gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums zu verzichten. In dazu von ihm vorgelegten Thesen wirbt er in der Debatte für ein undogmatisches Vorgehen. In der Linken selbst sei die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums „nicht unumstritten, sondern differenziert“. Bartsch schreibt: „Streitig ist durchaus, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muss und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muss.“
Indirekt geht Bartsch mit seinem Vorstoß auch auf Distanz zum Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine. Schon vor der Klausur der Bundestagsfraktion vergangene Woche in Rostock hatten führende Landespolitiker Lafontaines Staatsbegriff kritisiert. Im von Lafontaine durchgesetzten Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei heißt es, die Linke wolle „Schluss machen mit einer Politik, die das öffentliche Vermögen verkauft und damit die Bevölkerung enteignet“. Statt einer „neoliberalen Privatisierung“ wolle sie eine staatliche und kommunale Verantwortung für Bildung und Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, für Stadtentwicklung und Wohnungen, für öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie für wichtige Teile der Kultur. Bartsch hingegen argumentiert, auch eine „progressive Entstaatlichung“ könne notwendiger Teil einer „Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus sein“.m.m.

Junge Welt, 10.07.2006
Abgeschrieben*: WASG will bundesweite Kampagne gegen Privatisierung starten
* Wir dokumentieren in Auszügen eine Medieninformation des Bundesvorstandes der WASG vom Sonntag: Der Bundesvorstand der WASG hat nachdrücklich seine Absicht bekräftigt, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierung zu starten. Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG unterstrichen ihre Absicht gemeinsam mit Linkspartei, Globalisierungskritikern, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, so Weck und Händel am Sonntag.
Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums« in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, daß der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden. (…)

Neues Deutschland, 11.07.2006, URL: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=93383&IDC=2
Linkspartei will mit Kampagne warten
WASG drängt auf Aktion gegen Privatisierung Von Tom Strohschneider
Zwischen Wahlalternative WASG und Linkspartei gibt es Unstimmigkeiten über Termin und Ausrichtung einer Kampagne gegen Privatisierungen. Der Vorstand der Linkspartei hat gestern bei einer Gegenstimme beschlossen, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierungen nicht vor Abschluss der Aktivitäten für einen Mindestlohn vorzubereiten. Mit dem Start entsprechender Aktivitäten ist demnach nicht vor 2007 zu rechnen. In einer von PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch eingereichten Vorlage heißt es, »zwei Kampagnen gleichzeitig lassen sich nicht führen«. Außerdem seien die Forderungen »Keine Privatisierungen« bzw. »Den Privatisierungswahn stoppen« für eine politische Kampagne »zu unbestimmt und abstrakt«, also nicht geeignet. Der Vorstand möge stattdessen weiterhin regionale Aktivitäten und kommunale Kampagnen politisch und materiell unterstützen.
Darüber hinaus war in dem Papier darauf hingewiesen worden, dass »die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums« auch in der Linken »nicht unumstritten« sei, etwa mit Blick auf Rolle und Aufgaben des Staates. Die »grundsätzliche Position« der Linkspartei bleibe davon aber unberührt. Der Parteivorstand müsse jedoch praxistaugliche Kriterien weiterentwickeln, so das Papier. Nach dessen Bekanntwerden hatte sich die WASG-Spitze am Wochenende in einem Brief an den PDS-Vorstand gewandt und nochmals die Notwendigkeit einer Anti-Privatisierungs-Kampagne bekräftigt. Die WASG strebt einen Kampagnen-Start im November an. Der Bundesvorstand hatte bereits Anfang Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Aktion »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums« vorbereiten soll. Erste gemeinsame Beratungen, so das Angebot an die Sozialisten, könnten am 15. Juli stattfinden. Die Linkspartei-Spitze gab gestern grünes Licht für die Teilnahme an diesem Gespräch, sieht aber noch weiteren Klärungsbedarf.
In der WASG-Spitze zeigte man sich gestern irritiert – nicht zuletzt, weil es in der Vorlage Bartschs heißt, Initiativen für eine Kampagne seitens des WASG seien der Linkspartei nicht bekannt. Zum Zeitpunkt, zu dem die Beschlussvorlage des PDS-Geschäftsführers verfasst wurde, hatte die WASG-Spitze ihre Arbeitsgruppe zwar noch nicht gebildet. Jedoch hätte man dies, so die Kritik, jederzeit – etwa während der Fraktionsklausur in der letzten Woche – in Erfahrung bringen können.

Junge Welt, 11.07.2006, URL: http://www.jungewelt.de/2006/07-11/038.php
Basis watscht Bartsch ab
Jörn Boewe
Dietmar Bartsch fand es gar nicht witzig. Eigentlich hatte der Geschäftsführer der Linkspartei.PDS gehofft, der Vorstand würde am Montag seinen Antrag, eine geplante Antiprivatisierungskampagne fallenzulassen, ohne viel Aufsehen durchwinken. Aber nach den zahlreichen wütenden Protestmails und Anrufen vom Wochenende war ihm schon klar, daß das schwierig werden würde.
Die Kampagne findet doch statt, aber nicht vor 2007. Auf diese salomonische Lösung verständigte sich der Parteivorstand am Montag nachmittag. Zur Vorbereitung wird ein gemeinsamer Arbeitskreis mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) gebildet, an dem für die Linkspartei die Vorstandsmitglieder Sahra Wagenknecht und Harald Werner beteiligt sein werden. Auf ihrem Bundesparteitag Ende April in Halle hatte die Linkspartei beschlossen, gemeinsam mit der WASG im Herbst eine »Kampagne zum Stopp des Ausverkaufs öffentlichen Eigentums und zur Zurücknahme der unsozialen Privatisierungspolitik im Bereich der Daseinsvorsorge« zu führen. Doch die Gegenoffensive des Apparats ließ nicht lange auf sich warten. Wie jW am Sonnabend berichtete, hatte Linkspartei-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in einem Antrag an den Parteivorstand gefordert, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Vordergründig argumentierte er, man könne neben der bereits laufenden Aktion zum Thema Mindestlohn keine zweite Kampagne führen. Wenn die im November beendet sei, stünde der Parteibildungsprozeß auf der Agenda und nicht eine neue Kampagne. In den Thesen, mit denen Bartsch seinen Antrag untermauerte, wird indes deutlich, daß es um mehr geht, nämlich um eine ideologische Rechtfertigung der Privatsierungspolitik, die Linksparteifunktionäre nicht nur in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in zahlreichen Kommunen betreiben. Nahegelegt wird, daß Privatisierung ein Weg zur »Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen« sei. Unstrittig sei lediglich, daß die Linke Privatisierung »nicht aktiv« initiieren und vorantreiben solle. Während die Linksparteiführung das leidige Problem erstmal in einen Arbeitskreis verschoben hat, hält die Schwesterpartei WASG das Thema nach wie vor für zentral. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, hatten die WASG-Bundesvorstandsmitglieder Felicitas Weck und Thomas Händel in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung gefordert. In einem Brief an den Linksparteivorstand hatte die WASG Ende letzter Woche vorgeschlagen, noch im Juli mit Arbeitstreffen zur Vorbereitung der Kampagne zu beginnen. »Privatisierung der Daseinsvorsorge greift in wesentliche demokratische Rechte ein«, bekräftigte Felicitas Weck die WASG-Position gestern gegenüber jW, »Wir können uns nicht immer stärker von Konzernen unter Druck setzen lassen.«

Freitag-Serie: Bildungsprivatisierung

Die Wochenzeitung „Freitag“ eröffnet eine Reihe, die sich mit Tendenzen beschäftigen wird, wie Bildung mehr und mehr den Charakter einer Ware annimmt. Die Beiträge werden einmal pro Monat erscheinen. Der erste Artikel erschien in der Ausgabe 28 am 7.7.06: Vom Menschenrecht zur Markenware von Clemens Knobloch
PRIVATISIERUNG DER BILDUNG
In Schulen und Universitäten regieren immer mehr die Gesetze des Marktes. Öffentliche Lernorte sind durch neoliberale Reformen und finanzielle Auszehrung bedroht
Die neoliberale Vermarktung der öffentlichen Bildungseinrichtungen hat in den letzten Jahren erheblich an Fahrt gewonnen. Je prekärer die beruflichen und ökonomischen Perspektiven breiter Schichten werden, desto besser lassen sich „Bildungsreformen“ verkaufen, scheint doch die „gute Ausbildung“ die beste und einzige Rückversicherung gegen die Wechselfälle eines harten globalen Arbeitsmarktes zu sein. Es ist freilich ironisch und paradox, dass ausgerechnet der traditionelle Bildungsaufstieg, der Berufschancen an öffentliche Bildungsdiplome bindet, als Motiv für Privatisierung und Entkopplung von Bildung und öffentlicher Hand herhalten muss. Denn am Ende dieser „Reformen“ wird Bildung kein öffentliches Gut mehr sein, über dessen politisch verantwortete Verteilung ein Stück Chancengleichheit hergestellt wird – sondern eine Markenware.
Beharrlich und Schritt für Schritt wird das öffentliche Bildungswesen in betriebswirtschaftliche Strukturen eingefädelt. Die Maßnahmen sind immer die gleichen, in reichen wie in armen Ländern: Freie Konkurrenz der Institutionen, freie Wahl der Bildungseinrichtungen durch die „Kunden“, freie Auswahl der „Kunden“ durch die Bildungseinrichtungen, Schulgeld und Studiengebühren oder Bildungsgutscheine, die an den Institutionen eingelöst oder in eine kostspieligere Ausbildung eingebracht werden können.

Bildung als Dienstleistung
Bei den Studiengebühren ist jetzt nach langer und vorsichtiger Annäherung die Schwelle überschritten. Das Publikum hat sich an den Gedanken Schritt für Schritt gewöhnen lassen. Die Stationen waren: Niemals – vielleicht – für Langzeitstudenten – für alle. Man darf davon ausgehen, dass jetzt auch die Beträge ins Purzeln geraten werden. Denn Obergrenzen sind natürlich staatlicher Dirigismus, wenn die Hochschulen einmal in die betriebswirtschaftliche „Autonomie“ entlassen sind. Symptomatisch ist das Verhältnis zwischen den noch öffentlichen und den schon privaten Hochschulen. Dass die Privatuniversität Witten/Herdecke ebenso wie die International University Bremen (IUB) pro Student weit mehr Geld aus dem Landeshaushalt erhalten als die öffentlichen Hochschulen, ist ebenso bekannt wie skandalös. Es ist auch ein Beleg dafür, dass Privatisierung öffentliche Politik ist und großzügigst aus Steuergeldern subventioniert wird. „Frei“ sind die Privaten in der Festsetzung ihrer Studiengebühren. Aber das ist noch nicht das Ende. Über die Liberalisierungen der Dienstleistungen in der EU (auch Bildung ist eine „Dienstleistung“) werden private Anbieter künftig darauf insistieren können, dass sie mit öffentlichen Anbietern gleichgestellt und letztere nicht konkurrenzverzerrend subventioniert werden. In der Folge wird der Druck wachsen, öffentliche Bildungseinrichtungen zu privatisieren oder die privaten den öffentlichen materiell gleichzustellen. Für die privaten Anbieter ist das eine win-win-Situation, für die öffentliche Bildung das Gegenteil.
Die staatliche Universität wird ausgehungert, das eingesparte Steuergeld macht die Privaten fetter. Und, merkwürdig genug, es schadet dem Ansehen der Marke Uni Witten/Herdecke gar nicht, wenn die fachliche Begutachtung (wie jüngst geschehen) es nahe legt, die Medizinausbildung zu schließen, weil sie den modernen Ansprüchen nicht genügt. Für eine öffentliche Universität wäre das ein Skandal ersten Ranges. Die Bezeichnung „Privatuniversität“ transportiert aber schon per se den Nimbus der Elite, gleich wie die Ausbildung dort tatsächlich aussieht. Es gibt viele Indizien, die anzeigen, dass bei den privaten Anbietern vor allem eine hoch entwickelte Fassadenkunst vorherrscht. Sie haben es eben gelernt, eine Marke zu bewerben. Eine private Medienhochschule in Hamburg verspricht ihren Studierenden (Jahresgebühr: 15.000 Euro) ganz dreist, dass man sie mit den Mächtigen und Einflussreichen der Branche zusammenbringen wird.
Parallel dazu werden die Bildungseinrichtungen betriebswirtschaftlichen Controlling-Prozeduren auf allen Ebenen unterworfen. Das geht so weit, dass zum Beispiel für Studiengänge festgelegt wird, dass sie geschlossen werden müssen, wenn sie eine bestimmte Studentenzahl unterschreiten. Das Regime der Kennzahlen ist sachzwangförmig und muss nicht politisch durchgesetzt werden. Kein Land hat bisher den Mut gehabt, eine Universität zu schließen. Warum auch, wenn man Bildungseinrichtungen viel eleganter in die Pleite entlassen kann?
Für diese Politik gibt es einen Auftrag. Aber nicht vom Wähler, sondern von der Firma Bertelsmann, die sich mit Hilfe williger Politiker den hoch expansiven und profitträchtigen Bildungsmarkt schafft, den sie einmal zu beliefern hofft.
Dass die Bertelsmann-Stiftung die vakante Position eines Bundesbildungsministeriums (manche sprechen sogar von einem „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“) zunehmend selbstbewusst besetzt, ist inzwischen nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis, sondern ein Gemeinplatz. Wo Schulen, Hochschulen oder öffentliche Verwaltungen neoliberal umgebaut werden, braucht man nach der Bertelsmann-Stiftung nicht lange zu suchen. Dabei wirken die gewählten Akteure der Politik nicht einmal als Verführte oder Getriebene. Der Beobachter hat vielmehr den Eindruck von Lemmingen mit ausgeprägtem Todestrieb. Die Gewählten scheinen froh und glücklich, dass sie mit der Verantwortung für den Sozial- und Umverteilungsstaat gleich auch noch die Verantwortung für das öffentliche Bildungswesen loswerden. Schließlich haben sie ja den ganzen PISA-Ärger auszubaden. Dass sie damit auch die Quellen für die Legitimierung der eigenen Macht zum Versiegen bringen, scheint den wenigsten bewusst zu sein. Wir werden sehen, wie viel „Staat“ allein mit Armee und Polizei zu machen ist.
Ist es angesichts dieser Lage ein Wunder, dass die dienstbaren Geister des Hauses Bertelsmann nachgerade platzen vor Selbstbewusstsein und auch schon einmal die „Wir können auch anders“-Platte auflegen? Die Form der (gemeinnützigen und von der Steuer befreiten) Stiftung erlaubt es dem tragenden Konzern, seine langfristigen politischen und ökonomischen Interessen effizient zu vertreten, ohne dass er dabei überhaupt als interessierter Konzern auftreten muss.
Das stiftungseigene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) spielt virtuos auf allen Manualen der öffentlichen Meinungsbildung. Sein Lieblingskind, die Studiengebühren (in NRW neuerdings als „Studienbeiträge“ rhetorisch geschönt), hat das CHE kurz nach seiner Gründung der Hochschulrektorenkonferenz zur Adoption angeboten. Die griff bekanntlich zu und ließ sich auch weiterhin inspirieren von einer durch das CHE inszenierten Umfrage, wonach sogar die Studierenden mehrheitlich Studiengebühren befürworteten. Den chronisch unterfinanzierten Hochschulen wurde systematisch der Mund wässerig gemacht, sollten sie sich doch eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation errechnen können. So wurden in vielen Hochschulgremien die Studiengebühren schon verteilt, ehe sie noch erhoben wurden.
Noch erfolgreicher agiert die Bertelsmann Stiftung in der Schulpolitik. Interessant auch, dass der Arm des Medienriesen bis weit in die Gewerkschaften reicht und gerade auch in der Sozialdemokratie und bei den Grünen die Schulpolitik konzeptuell auf Vordermann bringt. Strategisch ist das wieder einmal erste Sahne. Gerade als „links“ und egalitär geltende Organisationen werden die Einführung von Schulgeld für die Sekundarstufe II (ebenfalls ein Lieblingskind der Bertelsmänner) glaubwürdig öffentlich vertreten können.
Vielfach flankiert wird Bertelsmann vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, der, nach dem Zweiten Weltkrieg als Stifterverband der Wirtschaft gegründet, heute fast das gesamte einschlägige Stiftungsvermögen der Privatwirtschaft als Lobbyorganisation verwaltet.

Rhetorik der Freiheit
Rhetorisch kommt der Markt immer als „Freiheit“. In NRW haben wir jetzt ein „Hochschulfreiheitsgesetz“, das die Universitäten (wie es in der vielfach bewährten Sprache heißt) noch leistungsfähiger und international wettbewerbsfähiger machen soll. „Freiheit“ zieht jetzt endlich auch in die Schulen des größten Bundeslandes ein. Durch die Auflösung der Schulbezirke können künftig Eltern auch die Grundschule ihrer Kinder frei wählen.
Die zweite Säule der neoliberalen Reformrhetorik verbindet Staat und Bürokratie mit der Verhinderung von „Öffnung“, „Wettbewerb“ und „notwendigen Reformen“. Kapitalisiert wird an dieser Front die wachsende öffentliche Unzufriedenheit mit den Zuständen im öffentlichen Bildungswesen. Dessen materieller und reputativer Ruin ist durchaus Teil der Strategie. Jeder Schulskandal von PISA bis Rütli ist Wasser auf die Mühlen der Privatisierer. Wer alles Mögliche für den Bildungsaufstieg seiner Kinder tun möchte, der wird bei jedem Bericht über katastrophale Zustände an öffentlichen Schulen bereit sein, ein Stück tiefer in die eigene Tasche zu greifen. Und das Motiv, den Kindern eine „gute Ausbildung“ mit auf den Lebensweg zu geben, kann man unbesorgt in jede rhetorische Kalkulation einsetzen.
Jeder, der im Schul- oder Hochschulwesen tätig ist, kann freilich bestätigen, dass mit der wachsenden Lautstärke des auf allen Kanälen gespielten Freiheitsliedes zugleich auch die Kontroll- und Regelungsdichte überproportional zunehmen. Mit der „Freiheit“ kommt an den Gymnasien (in NRW) auch das Zentralabitur, außerdem ein ganzes Netz zentraler Leistungsprüfungen, die an den Schulen durchgeführt und ausgewertet werden müssen. Mit der Auflösung der Staatlichen Prüfungsämter für das schulische Lehramt kommt eine detaillierte Regelung aller Prüfungen und Zwischenprüfungen, die von den Hochschulen nun „autonom“ veranstaltet werden müssen. Je „freier“ das Personal an den Bildungseinrichtungen, desto schamloser werden die geforderten Unterwerfungsriten. Die Fiktion autonomer Akteure wird inszeniert im Gewande von Zielvereinbarungen zwischen den Bildungseinrichtungen und ihren (natürlich stets im Rückzug befindlichen) öffentlichen Trägern. Dabei legt sich die Bildungseinrichtung auf Ziele fest, über deren Bewältigung sie nicht die geringste Kontrolle ausübt (Studentenzahlen, Erfolgsquoten, Drittmittel, Doktorandenzahlen). Der Träger verspricht finanzielle Einbußen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden.
Zur erfolgreichen rhetorischen Implementierung neoliberaler Bildungspolitik gehört die Allgegenwart des „Ranking“ und „Rating“. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wer an welchen Rangplatz gerät. Der erste muss strampeln, um seinen führenden Platz zu erhalten, und der letzte, um seinen Abstieg in die Regionalliga zu verhindern. Der Effekt ist immer der gleiche: die Zerstörung der gemeinsamen Interessen und die Befeuerung der Konkurrenz.

Kampf um beste Köpfe
Regelmäßig angestimmt wird auch das Lied von der Notwendigkeit effektiver Elitenbildung und Elitenförderung im Zeitalter der globalen Konkurrenz um „die besten Köpfe“, die natürlich verkümmern, wenn sie die Bildungseinrichtungen zusammen mit den viel zahlreicheren Holzköpfen besuchen müssen. Da nützt es wenig, daran zu erinnern, dass die anerkannt besten Bildungssysteme das gemeinsame Lernen prämieren. Da nützt es noch weniger, daran zu erinnern, was der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann gezeigt hat: dass die deutschen Macht-, Geld- und Verwaltungseliten ein nahezu geschlossenes System der Selbstrekrutierung bilden. Die Durchlässigkeit nach unten geht gegen Null. Wie öffentlich über Eliten gesprochen wird, zeigt nur an, ob diese Selbstrekrutierung für legitim gelten soll oder für einen politischen Skandal.
Wer die Folgen abschätzen will, welche die neoliberale Revolution im Bildungswesen hervorbringen wird, wenn sie nicht auf entschiedenen politischen Widerstand stößt, braucht nicht viel Phantasie. Für die breite Masse wird jedwede berufsqualifizierende Ausbildung schlecht und teuer. Trotz wachsender Kosten für die „Kunden“ wird die Massenbildung chronisch unterfinanziert bleiben, weil sich die gewinnträchtigen Komplexe aus (kleiner, aber feiner) Markenuniversität, betuchtem Publikum und reichen Forschungsgeldern an wenigen Stellen konzentrieren werden. An allen anderen Stellen wird der Mangel mehr oder weniger effektiv verwaltet werden.
Es wäre natürlich albern, wollte man dem öffentlichen Bildungswesen bescheinigen, dass es die beste aller möglichen Welten hervorbringen hilft und die Chancengleichheit garantiert. Und natürlich kann es auch gute Privatschulen (meinethalben sogar gute Privatuniversitäten) geben. Fatal an der neoliberalen Privatisierungspraxis ist aber in jedem Falle der Umstand, dass die Verteilung von Chancen stärker an den Geldbeutel gebunden und der öffentlichen politischen Zuständigkeit entzogen wird. Für Bildungspolitik wird es am Ende gar keinen Adressaten mehr geben, wenn der Bildungsmarkt einmal durchgesetzt ist.
Ein kommerzielles Bildungssystem ist immer ein undemokratisches Bildungssystem. Dass mit der überbordenden Freiheitsrhetorik die demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen restfrei entsorgt wird, dass die „Öffnung“ der Hochschule für die Gesellschaft faktisch ihre Auslieferung an das Kapital bedeutet, ist kein Zufall. Wo Ökonomie und Controlling regieren, ist jede Form von demokratischer Beteiligung ein schlechter Scherz. Von der verfassungsmäßigen Lehr- und Forschungsfreiheit bleibt dann nur, was der Hochschulrat befürwortet.

Veranstaltung am 9.5.06 in Berlin

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und das Gen-ethische Netzwerk laden ein:
Gentech-Anbau in Brandenburg – Was droht? Erfahrungen aus Kanada – aktuelle Situation in Brandenburg
mit Percy Schmeiser (kanadischer Landwirt, in englischer Sprache mit Übersetzung) und Nora Mannhardt (Aktionsbündnis gentechnikfreies Berlin/Brandenburg)
am Dienstag, 9.5.2006 um 19:00 Uhr
im „Umweltforum Berlin“ (Alte Mälzerei)
10249 Berlin-Mitte, Friedensstrasse 91. ( http://www.umweltforum-berlin.de )

Percy Schmeiser spricht in Englisch, die Veranstaltung wird übersetzt.

Aus dem Einladungstext

Brandenburg ist in Deutschland das Land, in dem die transgenen Saaten ausgebracht werden. Für dieses Jahr sind etwa 800 Hektar (Deutschland ca. 1.700 ha) angemeldet. Die Situation in Brandenburg wird Nora Mannhardt vom Aktionsbündnis gentechnikfreies Berlin und Brandenburg darstellen. Was sind möglicher Gründe, wie organisiert sich der Widerstand?

Die Koexistenz konventioneller, ökologischer und gentechnisch veränderter Nutzpflanzen ist nicht möglich. Dies zeigen die Erfahrungen mit Kontaminationen in Kanada. Dort wird es vermutlich niemals mehr möglich sein, gentechnikfrei zu produzieren. Einige der dortigen Landwirte hat dies schon an den Rand des Ruins getrieben.

Percy Schmeiser, kanadischer Rapsbauer, berichtet über 10 Jahre Gentech-Anbau in Kanada und zeigt die Praktiken der Gentechnik-Konzerne auf. Schmeisser hatte den Gentechnik-Konzern Monsanto wegen Kontamination seiner Felder verklagt. Weil die kanadische Regierung und die Justiz voll auf der Seite der Gentechnik-Konzerne stehen, wurde in seinem und in vielen anderen Fällen gegen geltendes Recht und zugunsten der Industrie entschieden.

Der Fall verdeutlicht auch die Zusammenhänge zwischen Koexistenz, Kontamination und den so genannten Schutzrechten an geistigem Eigentum, das heißt der Patentierung – das heißt der Privatisierung von Saatgut.

Kanadische Farmer bringen Gentechnik vor UN-Menschenrechtsausschuss: Nun erhebt der kanadische Farmer Percy Schmeiser vor dem UN-Ausschuss für Menschenrechte in Genf Klage gegen die kanadische Regierung wegen Menschenrechtsverletzungen durch die Gentechnik in der kanadischen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion (Stichtag 1. Mai 2006).

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*In Kanada ist der Zug gentechnikfreier Produktion bereits abgefahren – aber bei uns ist es noch nicht zu spät!*
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Hier ein Interview mit Percy Schmeiser aus der Mitgliederzeitschrift Umweltnachrichten (Dez. 2005) des Umweltinstitutes München. Das Interview führte Andreas Bauer.

Interview mit Landwirt Percy Schmeiser: „Eine ökonomische Katastrophe”

Im August 1998 verklagte der Gentechnik-Konzern Monsanto den kanadischen Bauer Percy Schmeiser, gentechnisch verändertes patentiertes Raps-Saatgut widerrechtlich angebaut zu haben: Schmeisers konventionelle und die Bio-Felder seiner Frau waren von genverändertem Saatgut verunreinigt. Zwei Gerichte verurteilten ihn zu einem Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro. Erst das oberste kanadische Bundesgericht stoppte den Konzern im Jahr 2004: Schmeiser wurde von Schadensersatzforderungen an den Konzern freigesprochen. Doch gleichzeitig befand das Gericht, dass Monsanto grundsätzlich im Recht sei und die Patentansprüche des Konzerns auch für kontaminierte Äcker gälten. 2005 hat Percy Schmeiser Gegenklage gegen Monsanto eingereicht, wegen Umweltverschmutzung und Zerstörung von Schmeisers gentechnikfreier Saatgutzüchtung.

Umweltinstitut München e.V. (UIM): Mr. Schmeiser, wie sind Ihre derzeitigen Beziehungen zu Monsanto?
Schmeiser: Ziemlich angespannt. Monsanto versuchte während der letzten Jahre, mich als Person zu diskreditieren, sowohl in den Medien als auch in meiner persönlichen Umgebung. Und das macht Monsanto nach wie vor. Zum anderen versuchen sie jetzt, mich mit Hilfe einer Knebel-Anordnung, der so genannten „Gag-Order“, ruhig zu stellen. Das ist eine Art gerichtlich verhängtes Redeverbot. Dadurch wäre mir das Recht genommen, über Monsanto zu sprechen. Dabei ist das einzige, was ich tue, darüber zu berichten, dass Monsanto mein gesamtes Ackerland kontaminiert hat.

UIM: Dagegen haben Sie jetzt Klage eingereicht.
Schmeiser: Ja, aber leider agiert Monsanto jetzt bösartiger als je zuvor. Der Grund ist meiner Meinung nach, dass der Konzern allein im letzten Quartal 125 Millionen US-Dollar Verlust gemacht hat. Und zwar ausschließlich deshalb, weil es sich, wie ein Journalist geschrieben hat, um eines der meistgehassten Unternehmen der Welt handelt, ein Unternehmen, das zentral an der Eliminierung der Rechte der Bäuerinnen und Bauern, und der Redefreiheit auf der ganzen Welt beteiligt ist. Letztes Jahr wurde Monsanto für die Dauer von zwei Jahren die Geschäftsausübung in Indonesien verboten, weil der Konzern für eine schnelle Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen die Behörden bestochen hatte. Auch in anderen Ländern gab es Korruption im Zusammenhang mit der Vermarktung von Monsantos Gen-Pflanzen.

UIM: Weswegen genau klagen Sie Monsanto an?
Schmeiser: Die erste Klage bezieht sich auf die Haftung für die Verunreinigung meiner Felder mit Genraps in den Jahren 1997 und 1998. Ich fordere Schadensersatz für die Zerstörung meines selbstentwickelten Raps-Saatguts, in dem 50 Jahre Forschung und Entwicklung stecken.
Vor zwei Monaten stellte ich zudem eine erneute Kontamination meiner Felder fest. Ich versuchte, Monsanto dazu zu bewegen, die Genrapspflanzen von meinem Feld zu entfernen. Monsanto war dazu nur unter der Bedingung bereit, dass ich einen so genannten „Release“ -Vertrag unterzeichne. Damit hätte ich allerdings für alle Zeiten Grundrechte, wie das auf freie Meinungsäußerung, an Monsanto verkauft. Der Vertrag hätte besagt, dass ich Monsanto nie wieder verklagen darf. Zweitens hätte ich auch alle bereits eingereichten Klagen gegen Monsanto zurückziehen müssen. Drittens hätte ich Zeit meines Lebens mit keinem Menschen mehr über Monsanto sprechen dürfen.
Zusätzlich hätte mir der Vertrag verboten, Raps und verwandte Arten, also zum Beispiel Senf, anzubauen. Denn Monsanto weiß, dass es dadurch erneut zu Kontaminationen meiner Felder durch gentechnisch veränderte Rapspollen kommen würde, der auch in verwandte Arten, wie eben Senf, auskreuzen kann. Kurzum, ich hätte sämtliche demokratische Rechte an der Eingangstür von Monsanto abgegeben. Ich bin Besitzer des Landes, ich zahle Steuern dafür, und alle Rechte dafür sollen an Monsanto gehen?
Wenn ich nach St. Louis, zur Konzernzentrale von Monsanto, fahren würde, um ihre Freilandversuche zu kontaminieren, und danach die Rechte auf diese Pflanzen reklamieren würde, hätte ich nach spätestens 24 Stunden ein Verfahren am Hals, das damit enden würde, dass man mich bis ans Ende meiner Tage einsperren würde.
Das Problem ist nach wie vor, dass die Menschen nicht darüber informiert sind, was passiert. In Kanada kann aufgrund der gentechnischen Verunreinigungen keine biologische Soja und kein biologischer Raps mehr angebaut werden. Das Grundrecht der Wahlfreiheit der Bauern ist zerstört.

UIM: Welche ökonomischen Auswirkungen hat der Anbau von Genpflanzen in Kanada?
Schmeiser: Der Anbau ist eine ökonomische Katastrophe. Viele Länder kaufen keine kanadischen Produkte mehr, die in irgendeinem Zusammenhang mit Raps oder Soja stehen könnten. Das betrifft neben den Bauern natürlich auch die nachgelagerten Industrien, also die Lebensmittelverarbeitung. Darüber hinaus kommt es zu einer Art Dominoeffekt: Auch die Nachfrage nach anderem Getreide aus Kanada ist zurückgegangen. Ganz konkret passiert folgendes: Die Rapserträge der kanadischen Bauern sind zurückgegangen, die Erträge sind von geringerer Qualität, für die Produktion müssen mehr Pestizide eingesetzt werden und das Einkommen der Bauern ist stark zurückgegangen. Durch die flächendeckende Kontamination ist auch die Wahlfreiheit der Bauern verloren.

UIM: Wie sieht es mit der sozialen Struktur in den ländlichen Gebieten aus? Hat sich auch diese durch den Anbau von GVO verändert?
Schmeiser: Auch das soziale Gefüge ist entgleist. Durch die Lizenzverträge mit Monsanto verlieren die Bauern das Grundrecht auf Redefreiheit. Die gesetzliche Lage verstärkt ihre Rechtlosigkeit noch zusätzlich. Sie müssen sehen, dass ein Bauer in Kanada in dem Moment schuldig gesprochen werden kann, wenn Monsantos Genraps auf seinem Feld gefunden wird. In meinem Fall hat das Gericht geurteilt, dass ein Bauer verpflichtet ist zu wissen, ob seine Ernte, sein Saatgut, oder sein Land mit Monsantos Genpflanzen kontaminiert ist. Wenn er nicht gentechnisch verändertes Saatgut aus einem Teil seiner Ernte anbaut, das mit Monsantos Genraps verunreinigt ist, verletzt er damit automatisch Monsantos Patent und kann von dem Konzern verklagt werden. Der einzige Ausweg besteht darin, gleich Monsantos Raps anzubauen. Denn in dem Moment, in dem sich Monsantos Gene auf seinem Feld befinden, kann Monsanto ihn dazu zwingen, seine gesamte Ernte zu vernichten. Wie soll ein Bauer wissen, ob sich Monsantos Raps auf seinem Feld befindet? Die einzige Möglichkeit, die er hat, ist sein Feld mit Roundup zu spritzen: Wenn 98 Prozent seiner Pflanzen sterben, und zwei Prozent überleben, weiß der Bauer, dass zwei von 100 Pflanzen kontaminiert sind. Doch es gibt keinerlei Toleranz. Selbst eine einzige Pflanze würde genügen, um alle Rechte an Monsanto zu verlieren. Das Gericht sprach im Urteil meines Falls davon, dass die „bloße Anwesenheit“ von Monsantos patentierten Genpflanzen auf meinem Acker ausreichen würde, um Monsantos Ansprüche zu rechtfertigen. Der oberste kanadische Gerichtshof urteilte auch, dass es bedeutungslos sei, wie es zu der Verunreinigung der Felder kommt.

UIM: Hat sich auch das Verhältnis der Landwirte untereinander verändert?
Schmeiser: Natürlich. Es ist ein starkes Misstrauen gegeneinander entstanden. Der Grund ist, dass Monsanto Bauern oder andere Leute dafür belohnt, wenn sie z.B. einen Nachbarn anzeigen. Zudem besitzt Monsanto eigene „Polizei“-Kräfte, welche die Menschen auf dem Land aushorchen. Ich erzähle ihnen ein Beispiel aus meinem Dorf: An Tankstellen in Kanada werden auch Pestizide verkauft. Monsantos Leute gingen also zu einer Tankstelle in meinem Dorf und sagten dem Besitzer: „Sprich mit den Bauern, frag sie ob sie Raps gepflanzt haben. Falls sie Raps anbauen, frag sie, wie viele Hektar. Dann gib uns diese Informationen weiter.“ Im Gegenzug bekam der Tankstellenbesitzer gute Konditionen und Rabatte beim Einkauf der Pestizide von Monsanto. Das ist ein Weg, wie Monsanto an Informationen kommt. Seit diese Geschichte bei mir im Dorf herauskam, tanke ich natürlich woanders.

UIM: Können Sie noch von weiteren Fällen berichten?
Schmeiser: Es gibt viele bekannte Fälle. Einem befreundeten Geschäftsmann, der auch Bauer ist, passierte folgendes: Er baute 200 acre (80 ha) von Monsantos Genraps an und schloss mit dem Unternehmen einen so genannten Technologie-Vertrag über diese Fläche ab. Dieser sieht vor, dass ein Bauer pro acre 15 kanadische Dollar Patentgebühren an Monsanto zahlen muss. Bei seiner Versicherung waren die entsprechenden Flächen jedoch mit 208 acre veranschlagt. Monsantos Spitzel müssen auf irgendeine Weise Zugang zu diesen Unterlagen bekommen haben. Es fehlten also acht acre, und laut dem Technologie-Vertrag hatte er damit eine Lizenzgebühr von 15 Dollar pro acre unterschlagen, was einem „Gesamtschaden“ von 120 Dollar entspricht. Monsanto wollte jedoch eine Strafgebühr von 200 Dollar pro acre kassieren, die mein Bekannter natürlich nicht zahlen konnte. Monsanto verlangte nun für einen Verzicht auf ein Strafverfahren, dass mein Bekannter ebenfalls Spitzeldienste übernehmen sollte und Nachbarn melden, die von Kontaminationen wussten, diese aber aus Angst vor den finanziellen Forderungen Monsantos nicht melden wollten. Er ist darauf eingegangen, hat aber nie jemanden gemeldet.
Ich erzähle Ihnen noch von einem dritten Fall: Wenn Sie in Kanada Getreide verkaufen, müssen Sie Aufzeichnungen darüber in einem Buch dokumentieren. Dieses Buch ist Privatbesitz des Bauern. Da diese Aufzeichnungen von großer Wichtigkeit sind, hinterlegen es viele Bauern im Safe des örtlichen Getreidehändlers. Monsanto lädt nun diese Getreidehändler zu Wochendausflügen oder zum Essen ein und kommt so schließ-lich in den Besitz der Aufzeichnungen. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was diese Vorfälle mit dem sozialen Netz auf dem Land anrichten.

UIM: Der Presse kann man entnehmen, dass sich kanadische Bauern, vor allem Biobauern inzwischen wehren. Sie haben Genkonzerne wie Monsanto und Bayer verklagt. Wie beurteilen Sie die Aussichten, dass die Konzerne schuldig gesprochen werden?
Schmeiser: Die Vereinigung der Biobauern aus Saskatchewan (das Saskatchewan Organic Directorate) hat Monsanto und Bayer wegen der Kontaminationen auf Schadensersatz verklagt. Die Klage bezieht sich auf die Haftung für entstandene ökonomische Schäden, vor allem den Verlust von Exportmöglichkeiten, da kein biologischer Raps mehr angebaut werden kann. In erster Instanz haben die Bauern den Prozess verloren. Im Moment droht er bereits an der Frage zu scheitern, ob die Bio-Bauern als Vereinigung überhaupt das Recht haben, diese Klage einzureichen. Monsanto versucht den Prozess zu verschleppen. Schon jetzt hat er die Bio-Bauern 300.000 Dollar gekostet. Allein für die Frage nach der Zulässigkeit der Klage sind drei Jahre ins Land gegangen.

UIM: Welche Rolle spielt eigentlich die kanadische Regierung?
Schmeiser: Die kanadische Regierung unterstützt die Gentechnikindustrie bedingungslos. Monsanto arbeitet mit den zuständigen Behörden, z.B. der Lebensmittel- oder der Umweltbehörde, Hand in Hand. Ein Beispiel vom April 2004 mag Ihnen zeigen, wie eng die Verbindung ist. Monsanto stand damals kurz vor der Zulassung von gentechnisch verändertem Weizen. Dann kam heraus, dass die Regierung mit Monsanto ein Abkommen geschlossen hatte: In dem Vertrag stand, dass die Regierung für jedes Kilo Genweizen einen bestimmten Prozentsatz des Gewinns erhalten sollte.
Derzeit stehen wir in Kanada auch vor einer Überarbeitung der Saatgut-Gesetzgebung, dem Seed Sector Review. Die Vorschläge der Gentechnikindustrie für dieses Gesetz wurden bislang nur noch nicht umgesetzt, weil Wahlen bevorstanden. Mit diesem Gesetz würde die Saatgutindustrie die totale Kontrolle über die Landwirtschaft übernehmen. Denn der zentrale Punkt des Gesetzes ist, dass es den Nachbau von gekauftem Saatgut schlichtweg verbietet. Dieser Passus bezieht sich nicht nur auf Getreide, sondern auch auf Gartenblumen oder Bäume. Damit würden nicht nur Bauern, sondern auch Gärtner und Forstwirte total entrechtet. Die Industrie versucht, dieses Gesetz ohne öffentliches Aufsehen durchzubekommen. Die Situation ist sehr ernst.
Und dennoch: Seit einigen Jahren stockt die Zulassung neuer Gentechnikpflanzen. Bis heute gibt es nur sehr wenige kommerzialisierte Arten, vor allem Raps, Mais, Soja und Baumwolle. Was die Einführung weiterer GVO verhindert hat, war nicht die Umweltproblematik und nicht die gesundheitlichen Effekte, sondern der grandiose ökonomische Misserfolg. Die Bauern merken langsam, dass sie betrogen wurden.

UIM: Warum wächst die Anbaufläche in Kanada dann nach wie vor? Warum bauen die Bauern überhaupt noch gentechnisch verändertes Saatgut an?
Schmeiser: Viele haben Angst. Sie wissen, dass sie von Monsanto jederzeit verklagt werden können, denn ihre Felder sind genauso kontaminiert wie meine. Der einzige Ausweg sich vor Klagen zu schützen ist gleich Monsantos Genpflanzen anzubauen.

Das Interview führte unser Mitarbeiter Andreas Bauer.
Erschienen in unserer Mitgliederzeitschrift Umweltnachrichten, Ausgabe 102 / Dez. 2005

„Was damit geschaffen wird, ist eine Kultur der Angst“
Am 28. Oktober 2005 hielt Percy Schmeiser in Zürich den Vortrag, denn Sie hier ( http://www.umweltinstitut.org/download/vortrag_schmeiser_zuerich_okt2005.pdf ) als PDF-Datei herunterladen können.

Technologievertrag in Originalfassung und übersetzt als PDF-Datei zum Herunterladen ( http://www.umweltinstitut.org/download/technologievertrag_monsanto.pdf )

Privatisierung ist Gewalt (derzeit in Mexiko)

Die aktuellen Massenproteste in Mexiko (Feature bei Indymedia) stehen direkt im Zusammenhang mit staatlich-repressiv vorangetriebener Privatisierung/Liberalisierung/Kommerzialisierung. Die andauernden Auseinandersetzungen, bei denen die Regierungstruppen bereits Menschen getötet haben, begannen, als Blumenhändler eines lokalen Marktes für ein Global-Style-Einkaufszentrum vertrieben werden sollten. Dazu Sub. Marcos:

„Vor Jahren gab es hier, auf dem Platz der Drei Kulturen, ein Massaker, und damals behauptete die Regierung, die Armee sei angegriffen worden. Und es verging viel Zeit, bis jemand fragte, was die Sicherheitskräfte eigentlich auf einer studentischen Versammlung verloren hatten. Und jetzt kommen diese Medien, auch das Radio, nicht auf den Gedanken zu fragen, was denn die Sicherheitskräfte eigentlich in San Salvador Atenco taten. Diese Allianz zwischen PRD und PRI veranlasste nämlich die Räumung einiger Blumenverkäufer, da sie dem Präsidenten des Landkreises von Texcoco hässlich für das Stadtbild erschienen; weil er lieber ein Einkaufszentrum da hätte, ein Wal-Mart dort in Texcoco, und da stören ihn die kleinen Händler, und auch die PRD, die dort mit der PRI auf Landesebene und mit der PAN auf Bundesebene verbündet ist, wird nun diesen Tod mit verantworten müssen.“ (Zitatkontext)

Moderne Raubzuege

In der Jungen Welt vom 1.4.06, S. 10 beschreibt Sahra Wagenknecht, wie deutsche Großbanken in Zusammenspiel mit der EU-Kommission, dem Berliner Senat und der Anwaltskanzlei Freshfields die Privatisierung von Sparkassen durchsetzen wollen.
Privare = rauben (Latein). Damit ist über das Wesen von Privatisierungen eigentlich alles gesagt. Es geht um den Raub von gesellschaftlichem Vermögen und die Umleitung von Einnahmen (Zinsen, Mieten, Dividenden u.a.) auf private Konten bei gleichzeitiger Abwälzung von Schulden, Risiken und sonstiger »Altlasten« auf die Allgemeinheit. Erwünschter Nebeneffekt ist die Zerschlagung organisierter Kernbelegschaften im öffentlichen Dienst, um künftigen Streikaktionen vorzubeugen und flächendeckend Löhne senken zu können.
Zum Gelingen derartiger Raubzüge tragen verschiedene Akteure bei. So bedienen sich die Großbanken und Konzerne willfähriger Anwaltskanzleien zur juristischen Absicherung ihrer Beute; hinzu kommen unerfahrene oder korrupte Politiker, die auf kurzfristige Privatisierungserlöse schielen, ohne die langfristigen Folgen zu berücksichtigen, und Institutionen wie die EU-Kommission, die keine Gelegenheit auslassen, die Privatisierung öffe ntlicher Güter im Interesse des Großkapitals voranzutreiben. Wie die verschiedenen Akteure zusammenwirken und welche Tricks sie anwenden, um eine Privatisierung selbst in jenen Bereichen zu erzwingen, in denen die Widerstände gegen einen Ausverkauf öffentlicher Güter groß sind, soll im Folgenden am Beispiel der Berliner Sparkasse beschrieben werden.
Lobbypartner EU-Kommission
Das aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken gebildete Drei-Säulen-Modell in Deutschland ist den privaten Großbanken schon lange ein Dorn im Auge. Schließlich verhindert es die Übernahme von Sparkassen und steht damit einer Machtkonzentration im deutschen Bankenmarkt im Weg. Daß die deutschen Banken »im Geschäft mit Privatkunden unter der Konkurrenz der Sparkassen leiden und daher nicht annähernd an die Ergebnisse ihrer ausländischen Konkurrenz herankommen« (Handelsblatt 3.8.04) ist ein Verslein, das die deutsche Bankenlobby bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholt. Sie weiß, wo sie hinwill.
In Italien etwa wurde im Gefolge einer rüden Privatisierungspolitik der Marktanteil des staatlichen Bankensektors von 75 Prozent Anfang der neunziger Jahre auf nur noch zehn Prozent heruntergedrückt. Parallel zu diesem Prozeß explodierten die Gebühren für Bankdienstleistungen. Im Ergebnis kostet ein Girokonto in Italien heute doppelt so viel wie im europäi schen Durchschnitt.
In Deutschland hingegen ist der Widerstand gegen eine Privatisierung von Sparkassen nach wie vor groß. Folgerichtig suchte und sucht der Bundesverband Deutscher Banken nach Bündnispartnern in Brüssel. Mit Erfolg: 2005 wurden nach einem Entscheid der Europäischen Kommission die Staatsgarantien für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute abgeschafft, was die Sparkassen und Landesbanken dazu zwingt, ihre Geschäftspolitik stärker an den Renditeerwartungen der Kapitalmärkte auszurichten. An der Aushandlung dieses Deals war als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium übrigens just jener Caio Koch-Weser beteiligt, der kürzlich von der Deutschen Bank mit einem hochdotierten Posten für seine Lebensleistung belohnt wurde.
Aber damit nicht genug: Derzeit erwägt die EU-Kommission, das seit 2003 ruhende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wieder aufzunehmen, das zur Zulassung privater Sparkassen führen könnte. Im Mittelpunkt des Verfah rens steht das in Paragraph 40 des Kreditwesengesetzes (KWG) verankerte Namensmonopol für Sparkassen, das den Namen »Sparkasse« für den öffentlichen Bereich reserviert. Zwar ist es der EU-Kommission laut Artikel 295 des EU-Vertrags untersagt, sich in die Eigentumsordnung eines EU-Mitgliedslandes einzumischen, und auch die EU-Bankenrichtlinie erlaubt es, nur bestimmten Instituten den Namen »Sparkasse« zuzuordnen. Doch wo die Wirtschaftslobby ruft, ist Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy zur Stelle und wittert pflichtschuldig Verstösse »gegen die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit«.
Folgen des Bankenskandals
Anlaß des erneuten Vorstoßes der EU-Kommission ist der für 2007 geplante Verkauf der Bankgesellschaft Berlin, zu der auch die Berliner Sparkasse gehört. Sollte ein privater Investor bei der Veräußerung zum Zuge kommen, wäre dies sehr wahrscheinlich der von den privaten Banken lang herbeigesehnte Präzedenzfall, der das gesamte Drei-Säulen Modell zum Einsturz bringen kann.
Daß es eine Auflage der Europäischen Kommission zur Veräußerung der Bankgesellschaft durch das Land Berlin überhaupt geben konnte, ist den Verantwortlichen des Berliner Bankenskandals anzulasten. Diese haben die Bankgesellschaft in den neunziger Jahren dazu benutzt, um ihre politischen und geschäftlichen Freunde mit Pöstchen und Krediten zu versorgen und hochlukrative Immobilienfonds zu teilweise sittenwidrigen Konditionen (von steuerlichen Verlustzuweisungen bis zu langjährigen Mietgarantien und dem Recht zur Rückgabe zum Nominalwert am Ende der Laufzeit) an etwa 70 000 Anleger aufzulegen. Risiken und Verluste aus diesem Geschäft wurden auf den öffentlich-rechtlichen Teil der Berliner Bankgesellschaft abgewälzt.
Die Sozialisierung der Verluste begann im August 2001, als das Land Berlin der Bankgesellschaft eine Kapitalzuführung von 1,755 Mrd. Euro zukommen ließ. Da diese Summe nicht ausreichte, um eine Pleite abzuwenden und das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred, heute BAFin) im November 2001 mit der Schließung der Bankgesellschaft drohte, beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus am 9.4.2002 das Risikoabschirmungsgesetz, wodurch Risiken von bis zu 21,6 Milliarden Euro, die aus faulen Krediten, Wertverlust von Immobilien u. ä. resultieren, vom Land übernommen wurden.
Für die Verluste der Bankgesellschaft bezahlen mußten unter anderem die Bediensteten des Landes Berlin, deren Löhne und Vergütungen um durchschnittlich zehn Prozent gesenkt wurden. Laut Berliner Senat bringt dieser »Solidarpakt«, zu dem sich verdi nach dem Austrit t des Landes Berlin aus dem Arbeitgeberverband nötigen ließ, eine weitere Entlastung der Personalausgaben um 250 Millionen im Jahr 2003 und um jeweils 500 Millionen in den Jahren ab 2004.
Wie zu erwarten war, rief die Unterstützung der Bankgesellschaft durch das Land Berlin die Brüsseler Wettbewerbshüter auf den Plan. Zwar wurden die staatlichen Beihilfen von der EU-Kommission nachträglich genehmigt; allerdings nur unter der Bedingung daß sich die Bankgesellschaft von mehreren Tochtergesellschaften trennt und 2007 selbst verkauft wird. Damit könnte die zur Bankgesellschaft gehörende Berliner Sparkasse die erste öffentliche Bank in Deutschland werden, die von privaten Investoren übernommen wird. Sicher ist dies allerdings noch nicht. Denn nach wie vor gilt Paragraph 40 des Kreditwesengesetzes, der es privaten Banken nicht erlaubt, eine Sparkasse zu betreiben. Sollte eine private Bank im Bieterverfahren zum Zuge kommen, müßte die erworbene Bank also unter anderem N amen weitergeführt werden. Das freilich ist gerade nicht der Sinn der Sache.
Mit dem Berliner Sparkassengesetz, das seit Juni 2005 in Kraft ist, versuchte der Berliner Senat, das Unmögliche möglich zu machen: Die Sparkasse sollte de facto privatisiert, die öffentlich-rechtliche Fassade und damit der Name jedoch gewahrt bleiben. Um dies zu erreichen, wurde die Sparkasse in eine teilrechtsfähige Anstalt umgewandelt und die Landesbank Berlin in eine Aktiengesellschaft transformiert, die vom Land Berlin mit der Trägerschaft an der Sparkasse beliehen wurde. Der Clou besteht also darin, daß die Sparkasse ein öffentlich-rechtliches Institut bleibt – allerdings unter dem Dach einer AG, die von privaten Investoren gekauft werden kann.
Fraglich ist allerdings, ob das Berliner Sparkassengesetz juristisch haltbar ist. Zwar existieren in diesem Gesetz einige Paragraphen, welche die Gemeinwohlverpflichtung der Berliner Sparkasse sichern sollen. Allerdings verfügt die Berliner Sparkasse als teilrechtsfähige Anstalt über kein eigenes Vermögen, und auch die von der Sparkasse erzielten Gewinne sollen in die Taschen des privaten Trägers fließen. Hier genau lauert das Problem: Eine Ausschüttung der Gewinne einer Sparkasse an Private ist mit Paragraph 40 KWG nicht vereinbar. Denn nach diesem Gesetz müssen die Überschüsse einer Sparkasse entweder beim Institut verbleiben oder gemeinnützig verwendet werden. Das sieht auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) so.
Da allerdings kein privater Investor auch nur einen müden Euro für ein Institut verausgaben dürfte, das seine Gewinne nicht ausschütten darf, hat Finanzsenator Sarrazin die BaFin in einem Brief gebeten, ihre Auffassung zu überdenken. Zur Unterstützung verweist er dabei auf die Tatsache, daß die Berliner Sparkasse schon in der Vergangenheit – seit Gründung der börsennotierten Bankgesellschaft im Jahr 1994 – ihre Gewinne an die Bankgesellschaft ausgeschütt et hat. »Würde Paragraph 40 KWG tatsächlich eine gemeinnützige Verwendung von Überschüssen voraussetzen und zugleich jegliche Ausschüttungen an private Träger ausschließen, so hätte die BaFin seit Schaffung des Konzerns Bankgesellschaft rechtswidrig gehandelt und müßte sich fragen lassen, warum sie seit zehn Jahren nicht gegen die Verwendung der Bezeichnung ,Berliner Sparkasse‘ eingeschritten ist«.
Richtig ist daran, daß schon die Gründung der Bankgesellschaft Berlin AG gegen geltendes Recht verstoßen und die undurchsichtige Struktur der Bankgesellschaft AG sowie die daraus resultierende unheilvolle Vermischung privater Interessen mit öffentlichen Haftungsgarantien zum Bankenskandal geführt hat. Mit Verweis auf rechtswidrige Bestimmungen der Vergangenheit nun allerdings zu fordern, man müsse erneut ein Institut schaffen, das die öffentlich-rechtliche Fassade mißbraucht, um möglichst hohe Profite auf private Konten zu schleusen, ist mehr als dreist.
An die Überzeugungskraft seines Arguments scheint Sarrazin daher selbst nicht recht zu glauben. Aus eben jenem Grund hat er Binnenmarktkommissar McCreevy zur Wideraufnahme des besagten Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Namensmonopol der Sparkasse angeregt. Die unabsehbaren Folgen, die eine Privatisierung von Sparkassen für die mittelständische Wirtschaft, die Beschäftigten und Verbraucher in ganz Deutschland nach sich ziehen würden, interessieren im Berliner Senat offenbar weniger.
Ein passendes Gesetz
Wie Report Mainz am 20. März berichtet hat, wurde das umstrittene Berliner Sparkassengesetz übrigens von der Kanzlei Freshfields, Brückhaus, Deringer erarbeitet – eine »der besten Adressen für milliardenschwere Wirtschaftsdeals«, die »mit dem Bundesverband deutscher Banken und vielen Großbanken über Berateraufträge eng verbunden« ist. Nun ist es nichts Außergewöhnliches, daß sich die Legislative bei Gesetzesvorhaben juristische Expertisen einholt. Daß Lobbykanzleien jedoch den Auftrag bekommen, Gesetze von Anfang an mitzuschreiben, ist ein relativ neues Phänomen. Im Fall des Sparkassengesetzes übernahmen Anwälte von Freshfields auch die Aufgabe, den Berliner Abgeordneten in Anhörungen das Gesetz zu erklären.
Im Übertölpeln von Parlamentariern, Senatoren und Ministern hat die Kanzlei schon einige Erfahrung. So beriet die Kanzlei das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen bei der Einführung der LKW-Maut. Als das Verkehrsministerium nicht in der Lage wa r, den von Freshfields verfaßten 17 000-Seiten-Vertrag selbst zu interpretieren, erhielt die Kanzlei einen weiteren Beratervertrag, damit Modalitäten und Höhe der Schadensersatzforderung ermittelt werden konnten. Auch bei der jüngsten Privatisierung des Dresdner Wohnungsbestandes hatte Freshfields die Finger im Spiel: Sie hat die Stadt Dresden beim Verkauf der städtischen Anteile an der WOBA Dresden GmbH beraten. Käufer war der US-Finanzinvestor Fortress, der die Anteile der Stadt für rund 1,75 Milliarden Euro übernahm; der Deal zählte zu den größten Immobilienverkäufen von Kommunen in Deutschland. Das Interessante daran: Noch im Dezember 2005 beriet Freshfields die Gegenseite, d. h. den Finanzinvestor Fortress, beim Kauf von Wohnungen der Dresdner Bank – Wohnungen, die mit der WOBA in eine gemeinsame Holding gesteckt werden sollen, die spätestens Anfang nächsten Jahres an die Börse gebracht werden soll.
Laut Eigendarstellung verfügt die Kanzlei Freshfields Bruckh aus Deringer »über die wohl umfassendste Erfahrung in Public Private Partnership-Projekten sowohl in Deutschland als auch international. Die Sozietät hat sich in diesem Bereich einen einmaligen Erfahrungshintergrund geschaffen, der eine Reihe von Pilotprojekten mit Modellcharakter einschließt.« Zu diesen Projekten mit Modellcharakter dürfte die angestrebte Privatisierung der Berliner Sparkasse ebenso zählen wie die Privatisierung von Krankenhäusern in Hessen und Hamburg, die Privatisierung von Wasserunternehmen, Stadtwerken und Flughäfen ebenso wie die Teilprivatisierung von Landesbanken. Auch international hat sich Freshfields mit umstrittenen Privatisierungen bzw. Public-Private-Partnerships (PPP) einen Namen gemacht. In Großbritannien war die Kanzlei beispielsweise an der Überführung einiger Londoner U-Bahnlinien in ein PPP-Projekt beteiligt und begleitete zahlreiche Schulprojekte sowie sämtliche PPP-Gefängnisprojekte.
Die angestrebte Privatisierung der Berline r Sparkasse folgt in ihren Grundzügen einem Modell, das schon bei der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe erprobt wurde. In beiden Fällen wurde der Berliner Senat von Frehsfields-Anwalt Benedikt Wolfers beraten. In beiden Fällen ging bzw. geht es um eine Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform – ein Modell, das sich laut Wolfers vor allem dann anbietet, wenn die öffentlich-rechtliche gegenüber der privatrechtlichen Form manifeste wirtschaftliche Vorteile bietet oder die Widerstände gegen eine vollständige Privatisierung zu groß sind.
Wie das neue Sparkassengesetz war auch die im Jahr 1999 in einem geheimen Vertrag von der damaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) mit den Konzernen RWE und Veolia (ehemals Vivendi) geregelte Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) juristisch und politisch höchst umstritten. Um eine Privatisierung bei Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform zu ermöglichen, wurde damals eine Holding geschaffen, die nach dem Vorbild der Berliner Bankgesellschaft AG sowohl eine Anstalt des öffentlichen Rechts (die Berliner Wasserbetriebe BWB) als auch diverse privatwirtschaftliche Beteiligungen und Tochtergesellschaften unter ihrem Dach vereinte. Und wie schon bei der Bankgesellschaft Berlin hat dieses Holding-Modell den Vorteil, daß es eine massive Subventionierung der privatwirtschaftlichen Unternehmen durch die Anstalt öffentlichen Rechts ermöglicht. Lieferten die Berliner Wasserbetriebe vor der Teilprivatisierung noch Gewinne an den Berliner Haushalt ab, so gehen diese Erlöse nun in erster Linie an die privaten Gesellschafter.
Umstrittenster Punkt des Vertrages ist, daß den privaten Erwerbern eine jährliche Rendite von sieben bis acht Prozent auf das »betriebsnotwendige Kapital« zugesichert wurde – über eine Laufzeit von 28 Jahren. Zwar wurde dieser Teil des Vertrags durch einen Beschluß des Verfassungsgerichts vom 21. Oktober 1999 für nichtig erklärt, trotz dieses Urteils bestand der SPD-PDS-Senat jedoch darauf, den privaten Wasserkonzernen die vereinbarte Zusatzrendite zuzuschanzen. Denn als hätten die Beteiligten geahnt, daß das Teilprivatisierungsgesetz von 1999 juristisch unhaltbar ist, wurde im Vertrag eine Klausel verankert, nach der das Land Berlin sich verpflichtet, die geringeren Gewinne oder höheren Verluste, die sich ergeben, falls das Teilprivatisierungsgesetz ganz oder teilweise für nichtig oder aufgrund einer Entscheidung eines Verfassungsgerichts mit höherrangigem Recht für unvereinbar erklärt wird (»Nichtigerklärung«), in vollem Umfang auszugleichen.
Um die unverschämte Rendite bezahlen zu können, muß das Land Berlin nun auf entsprechende Einnahmen verzichten, teils sogar draufzahlen. Gleichzeitig müssen die Berliner Haushalte tiefer in die Tasche greifen. Allein 2004 sind die Wasserpreise in Berlin um über 15 Prozent gestiegen; bis 2009 dürfte sich die Preise um etwa 30 Prozen t erhöht haben. Dabei liegt Berlin schon jetzt bei den Preisen für Wasser und Abwasser bundesweit an der Spitze.
Auch wenn die herrschenden Parteien und Medien nach wie vor ein Loblied auf die Privatisierung singen – auf Dauer läßt sich nicht verbergen, daß es sich bei der Privatisierung öffentlicher Dienste in aller Regel um Raubzüge privater Konzerne und ihrer Berater und Verbündeten handelt, die sich auf Kosten von Beschäftigten, Verbrauchern und Steuerzahlern eine goldene Nase verdienen wollen. Entsprechend nimmt der Widerstand gegen Privatisierungen zu, in manchen Fällen wird auch schon über eine Rückführung privatisierter Unternehmen in öffentliches Eigentum nachgedacht.
Alternativen zum Ausverkauf
Wie die Entwicklung in Berlin zeigt, ist dabei selbst ein Wandel vom Bock zum Gärtner nicht ausgeschlossen. So hat sich der Landesparteitag der Berliner SPD Ende letzten Jahres für die Aufhebung des Beschlusses zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe ausgesprochen und die Abgeordneten sowie die sozialdemokratischen Senatsmitglieder dazu aufgefordert »zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Teilprivatisierung der BWB rückgängig gemacht werden kann und bis April 2006 darüber Bericht zu erstatten«. Auf den Bericht darf man gespannt sein – auch wenn kaum zu erwarten ist, daß eine Berliner SPD mit Wowereit, Sarrazin und Fugmann-Heesing in ihren Reihen einen entsprechenden Kurswechsel einleiten wird.
Was für die Berliner SPD gilt, gilt jedoch auch für die Berliner Linkspartei; schließlich trägt Senator Wolf einen Großteil der Verantwortung für die Verabschiedung des neuen Sparkassengesetzes. Klar ist, daß sich ohne massiven Druck aus der eigenen Partei, aus d er Öffentlichkeit, aus Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen nichts zum Guten ändern wird. Klar ist auch, daß der rot-rote Senat die Forderungen nach einem Stopp von Privatisierungen nicht gänzlich ignorieren kann, wenn er eine Schlappe bei den anstehenden Wahlen im September vermeiden will. Diese Situation gilt es zu nutzen.
Wenn die sich neu formierende Linke ihre Glaubwürdigkeit als Opposition zum Neoliberalismus nicht von vornherein aufs Spiel setzen will, muß die Linkspartei ihre bisherige Politik im Berliner Senat ändern. Im Hinblick auf die Privatisierungspolitik und den Umgang mit dem Berliner Bankenskandal sollte eine Fortsetzung der rot-roten Koalition davon abhängig gemacht werden, ob folgende Forderungen in die Tat umgesetzt werden:

  • Keine weiteren Privatisierungen öffentlichen Vermögen und kein Outsourcing öffentlicher Dienstleistungen an private Anbieter.
  • Revision des Sparkassengesetzes: Der Bestand der Berliner Sparkasse als vollrechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigenen Organen, eigenem Vermögen und eigener Bankerlaubnis muß garantiert und zugleich sicherstellt werden, daß die Gewinne der Berliner Sparkasse für gemeinnützige Zwecke verwendet werden und nicht in private Taschen zu fließen. Eine solche Gesetzesrevision würde außerdem die Frage einer möglichen Privatisierung elegant lösen, denn kein privater Investor dürfte unter solchen Konditionen noch Interesse bekunden. Zugleich könnte der Auflage der Europäischen Kommission durch Veräußerung der Sparkasse entweder an den Sparkassenverbund selbst oder an eine gemeinnützige Stiftung Rechnung getragen werden. Es gibt nämlich keine Auflage der Kommission, die das Land Berlin zur Privatisierung verpflichtet. Wie und an wen die Sparkasse veräußert wird, liegt in der Verantwortung des Berliner Senats.
  • Keine weitere Aufträge an Kanzleien wie Freshfields, die im Interesse privater Konzerne die Privatisierung öffentlicher Güter vorantreiben; Offenlegung aller Verträge, die der Senat mit Anwälten, Wirtschaftsberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geschlossen hat.
  • Revision des Teilprivatisierungsgesetzes der Berliner Wasserbetriebe und in der Perspektive die Rekommunalisierung der BWB.

Slowakei stoppt Privatisierung der Gueter-Eisenbahn

Bratislava. DPA/baz. Die slowakische Regierung hat am Mittwoch das Privatisierungsverfahren der staatlichen Gütereisenbahn Cargo Slovakia abgebrochen. Sie kommt damit einer Forderung der Opposition nach. Wegen einer Anfang Februar ausgebrochenen Koalitionskrise wurden für 17. Juni vorgezogene Parlamentswahlen ausgeschrieben.
Bis dahin will die Minderheitsregierung des Christdemokraten Mikulas Dzurinda im Amt bleiben. Die Oppositionsparteien hatten jedoch gedroht, Dzurinda durch einen Misstrauensantrag im Parlament sofort zu stürzen, wenn die Cargo-Privatisierung nicht gestoppt werde.
Erst am 8. Februar hatte eine von der Regierung beauftragte Auswahlkommission als Bestbieter für den Kauf von 100 Prozent der Cargo Slovakia die Güterverkehrstochter der Österreichischen Bundesbahnen, Rail Cargo Austria empfohlen.
Der slowakische Verkehrsminister Pavol Prokopovic befürchtet nun „Schäden in der Höhe von mehreren hundert Millionen Kronen“ (mehrere Millionen Euro) als Folge des Privatisierungsstopps. Im Jahr 2007 werde nämlich der slowakische Eisenbahn-Güterverkehr völlig liberalisiert, erklärte er gegenüber den Medien. Ohne die von einem ausländischen Käufer erhofften baldigen Investitionen könne Cargo Slovakia dann gegen die Konkurrenz nicht bestehen und verliere deshalb rasch an Wert.
Quelle: Basler Zeitung >>> http://www.baz.ch/news/index.cfm?ObjectID=9205CDB5-1422-0CEF-70792120E4FB9EB2

Regierungskrise stoppt Privatisierung

DIE SLOWAKEI schiebt den Verkauf von Staatsbetrieben wie der Güterbahn auf die lange Bank.
PRESSBURG. Die ehrgeizigen slowakischen Privatisierungsprojekte scheinen auf einen Schlag gestoppt. Wegen der Regierungskrise und des Vorziehens der Parlamentswahlen sagte Regierungschef Mikulas Dzurinda gestern, Dienstag, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinen verbliebenen Regierungspartnern, dass es wohl nicht mehr zu schaffen sei, weitere Privatisierungen durchzuführen. Deshalb werde er bei den für heute geplanten Verhandlungen mit den Führern der anderen Parteien über Wahltermine einen Privatisierungsstopp „fünf Monate vor dem vereinbarten Wahltermin“ anbieten. Also vermutlich ab sofort.
Für die ÖBB, die sich um den Kauf der Slowakischen Güterbahn bemühen, ist das eine Hiobsbotschaft: Die Privatisierung der lukrativen Slovak Cargo liegt nun wohl aus politischen Gründen auf Eis. Allerdings lief das Verfahren schon bisher nicht reibungslos. Laut ursprünglichen Regierungsplänen sollte über der Verkauf noch vor Ende 2005 entschieden werden. Ähnlich wie in der Ausschreibung für die Flughäfen Bratislava (früher Pressburg) und Kosice (Kaschau) gab es auch hier schon erste Skandale, etwa weil in den Medien Informationen „aus nicht genannter Quelle“ über die vermutlich gebotenen Preise kursieren, obwohl sie laut Ausschreibung als geheim zu gelten haben, bis die Entscheidung gefallen ist. Einen Skandal um weitere Zweifel an der Korrektheit des Verfahrens wird sich der zur Dzurinda-Partei gehörende Verkehrsminister Pavol Prokopovic nicht mehr antun wollen. Teile der Opposition wollten schon wegen der Flughafenprivatisierung seine Abberufung.
Der Verkauf der Flughäfen an das Konsortium TwoOne um den Flughafen Wien sollte hingegen noch über die Bühne gehen. Hier ist, wie berichtet, der Regierungsbeschluss bereits gefallen. Allerdings ist der Zuschlag noch nicht 100-prozentig fix: Wenn das Antimonopolamt seine Zustimmung nicht bis spätestens 15. August erteilt oder andere unerwartete Hürden auftreten, wird der Zuschlag für TwoOne laut Ausschreibungsbedingungen ungültig.
Oppositionsführer Robert Fico sagte wiederholt, wenige Monate vor den ursprünglich für September geplanten Parlamentswahlen noch das Familiensilber zu verkaufen, sei ein „Skandal“. Sollte Fico die Wahl – wie erwartet – gewinnen, so will er „alle rechtlich möglichen Mittel“ einsetzen, um die Privatisierung zu stornieren.
Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte die Regierung schon vor zwei Wochen beschlossen, nur mehr die bereits laufenden bzw. vorbereiteten Privatisierungen unter Dach und Fach zu bringen und dann ab 1. April nichts mehr zu verkaufen.
Unrealistisch sind vermutlich alle anderen Privatisierungsprojekte: Verbliebene Staatsanteile an zwei der drei Strom-Regionalversorger sollten ebenso verkauft werden wie elf lokale Linienbus-Gesellschaften und Anteile an Wärmekraftwerken. In großem Zeitverzug ist der schon im Februar 2005 beschlossene Verkauf von 66 Prozent am Stromkonzern Slovenské Elektrárne (mit den Atomkraftwerken Mochovce und Bohunice) an die italienische Enel. Hier sind immer noch nicht alle Details geklärt.
Christoph Thanei, Die Presse vom 08.02.2006
Quelle: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=e&ressort=eo&id=537717

Das Raster der Krankheit. Portionierung und Bezifferung der Ware Gesundheit

Täglich ist in den Medien von der Praxisgebühr, der Situation Pflegebedürftiger und der elektronischen Gesundheitskarte die Rede. Ein integraler Bestandteil der „Reformen“ im Gesundheitswesen, nämlich die Einführung des DRG-Abrechungssystems wird allerdings selten außerhalb der unmittelbar betroffenen Berufsgruppen diskutiert. Das ist nicht überraschend, denn es handelt sich hier um eine abstrakte, schwer in Kurzberichte zu fassende Materie. Andererseits wird damit eine Entwicklung von enormer Tragweite der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen. >>> http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21777/1.html

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnt die Bundesregierung angesichts der Diskussion um den Boersengang der Deutschen Bahn AG vor einer Privatisierung der Schieneninfrastruktur

ngo-online berichtet:
(ngo) Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnt die Bundesregierung angesichts der Diskussion um den Börsengang der Deutschen Bahn AG vor einer Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Das Eigentum an Schienenwegen, Bahnhöfen und anderen Infrastruktureinrichtungen, die für den Bahnbetrieb unabdingbar sind, dürfe nicht dem Interesse privaten Kapitals unterstellt werden. Dann würden ausschließlich Renditeerwartungen über Investitionen und Betrieb bestimmen und dem Interesse des Gemeinwohls entgegen stehen. Sollte sich die Privatisierung des Gesamtkonzerns wie vom VCD erwartet als Fehler erweisen, sei der Schaden später nur schwer und mit viel Geld wieder gut zu machen.
„Der Eisenbahnverkehr ist elementarer Bestandteil des öffentlichen Mobilitätsangebotes“, sagte Michael Gehrmann, Vorsitzender des Verkehrsclubs. „Er hat bei der umwelt- und klimaschonenden Fortbewegung eine Spitzenstellung.“ Grundlage dafür sei eine gut ausgebaute und intakte Schieneninfrastruktur. Die könne nur gesichert werden, „wenn sie mit allem was dazu gehört in Eigentum und Verantwortung des Bundes bleibt“.
Bedenken gegen eine Privatisierung des Schienennetzes äußerte Medienberichten zufolge auch der Bundesrechnungshof. Zudem komme nach bisherigen Informationen das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten der Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton zu der Empfehlung, Netz und Betrieb im Falle eines Börsenganges zu trennen. „Es gibt ganz offensichtlich nicht nur verkehrspolitische sondern auch gewichtige ökonomische Bedenken gegen eine Privatisierung des Schienennetzes“, so Gehrmann.
Offizielles Ziel der Bahnreform sei es, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Daher werde eine Infrastruktur vorgehalten, die der Bund mit jährlich rund vier Milliarden Euro bezuschusse und nur deshalb zahle der Bund jährlich etwa sieben Milliarden Euro Regionalisierungsmittel, die für die Bestellung des Schienenpersonennahverkehrs zur Verfügung stünden.
„Die Existenz der Deutschen Bahn AG wird gegenwärtig dadurch gesichert, dass ihr der staatliche Eigentümer jährlich zehn bis elf Milliarden Euro für Infrastruktur und Betrieb zuwendet“, Heidi Tischmann, Verkehrsreferentin des VCD. Diese enormen Steuermittel müssten einen entsprechenden verkehrspolitischen Nutzen haben: „mehr Verkehr auf der Schiene, weniger Umweltbelastung“.
Fazit des VCD: „Besser ein integrierter Bahnkonzern in öffentlichem Eigentum, als eine privatisierte Infrastruktur mit steuerfinanzierten Monopolrenditen, mit der im Zweifelsfall Konkurrenten ferngehalten werden können – zu Lasten eines flächendeckenden Angebotes.“
Quelle: http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=12690

Warnung vor Privatisierung des Hamburger Hafens

Zuwachsraten von jährlich 15 Prozent beim Containerumschlag erfordern nach Ansicht des Geschäftsführers der Hamburg Port Authority (HPA), Hans Peter Dücker, große Anstrengungen von Hamburg. Eine Aufgabe, die die HPA jetzt als unternehmerisch organisierte Anstalt öffentlichen Rechts besser als eine Behörde bewältigen könne, sagte Dücker gestern abend bei einer Diskussionsveranstaltung des Industrieverbandes Hamburg, zu der Rainer Lagoni (Institut für Seerecht), Wolfgang Weber (Verkehrsministerium Niedersachsen), Ulf C. Göttes (Hafenblick) und Karl Günther Barth (stellvertretender Chefredakteur Hamburger Abendblatt) gekommen waren.
Seit Oktober 2005 ist das frühere Amt für Strom- und Hafenbau keine Behörde mehr und firmiert jetzt als HPA. Anlaß für den Industrieverband, mit Medien und Wirtschaftsvertretern über die ersten 100 Tage zu diskutieren. „Uns ist der Sprung aus dem Behördenapparat gut gelungen“, sagte Dücker.
Während einige kritisierten, daß es keine Privatisierung gegeben habe, warnte Rainer Lagoni vor einer rein privaten Hafeninfrastruktur. Dann würden große internationale Gesellschaften sich einkaufen und den Hafen dominieren. Zudem mußten die Beamten des früheren Amtes für Strom- und Hafenbau untergebracht werden. Wichtig sei nun aber, daß die Politik „die Zügel aus der Hand“ gibt, damit die HPA in Zukunft wirtschaftlich arbeiten kann.

Hamburger Abendblatt vom 12. Januar 2006

WEF will Austausch unterschiedlicher Positionen foerdern

DIe Baseler Zeitung berichtet:
Bern. SDA/baz. Das Open Forum 2006 will einen Beitrag leisten zum «beharrlichen Gespräch» zwischen Personen mit unterschiedlichen Positionen. So sitzen sich in diesem Jahr in Davos zum Beispiel der CEO von Nestlé und die ugandische Staatsministerin zum Thema Wasser gegenüber.
Peter Brabeck trifft dabei als Chef des weltweit führenden Trinkwasserproduzenten auf Maria Mutagamba, die Präsidentin der Afrikanischen Konferenz über Wasser. Sie werden mit drei anderen Teilnehmern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Folgen der Privatisierung im Wassersektor und die Forderung für ein Menschenrecht auf Wasser diskutieren.
In weiteren sieben Gesprächsrunden werden in der Aula der Mitteschule Davos unter anderem die Bundesräte Moritz Leuenberger, Joseph Deiss und Micheline Calmy-Rey, der Oxford-Professor Timothy Garon Ash, die Publizisten Alice Schwarzer, der NZZ-Journalist Urs Schöttli oder Novartis-CEO Daniel Vasella auftreten.

Dialog
«Dialog ist eine Voraussetzung zum Handeln», sagte der Präsident des Schweizerisch Evangelischen Kirchenbundes (SEK) am Donnerstag vor den Medien in Bern. Und das Open Forum wolle vom 26. bis zum 29. Januar eine Plattform sein für die Diskussion von zentralen Gesellschaftsthemen.
Dazu zählten in diesem Jahr Arbeitsmigration, Steuerwettbewerb, Menschenrechte, Forschung, Frauen an der Macht und die Privatisierung von Wasser. Gemäss Wipf will der SEK dafür sorgen, dass dabei vor allem auch die Fragen der Menschewürde, der wirtschaftlichen Gerechtigkeit und der ökologischen Verantwortung zur Sprache kommen.
Die Veranstaltung unter dem Motto «Grenzen respektieren – überschreiten – verschieben» wird zum vierten Mal vom SEK in gemeinsamer Trägerschaft mit dem World Economic Forum (WEF) in Davos durchgeführt. Ko-Organisatoren sind die Organisationen «Brot für alle», «Terre des hommes» und das Schweizerische Rote Kreuz.

Neuerungen
Nach der Kritik aus den eigenen Reihen nahm der SEK für die diesjährige Ausgabe verschiedene Neuerungen vor: So wurde der Frauenanteil bei den Diskussionsrunden auf mindestens 40 Prozent erhöht. Weiter seien mehr Experten aus dem Süden präsent. Und durch die Verkleinerung der Runden sollen auch die erwarteten 2400 Zuschauer stärker in die Diskussion mit einbezogen werden.
Deutlichere Konsequenzen aus der internen Kritik hat «Brot für alle» gezogen. Anstatt das Open Forum mitzuorganisieren, leitet die Organisation in diesem Jahr nur noch eine Podiumsrunde. «Wir wollten als Entwicklungsorganisation nicht mehr nur den Dialog fördern und uns neutral positionieren», sagte Generalsekretär Reto Gmünder zur Begründung.
Quelle: http://www.baz.ch/news/index.cfm?ObjectID=BF19A428-1422-0CEF-7018CCFD724AF8E2

Mit CEC-Verkauf schliesst Rumaenien die Banken-Privatisierung ab. Entstaatlichung startete erst vor acht Jahren – Premier warnt vor ueberzogenen Preiserwartungen fuer CEC

Bukarest – Nach dem bevorstehenden Verkauf der rumänischen Sparkasse CEC (Casa de Economii si Consemnatiuni) werden sich über 90 Prozent des rumänischen Banksektors in ausländischem Besitz befinden und die Privatisierung der Banken bereits im Vorfeld des EU- Beitritts des Landes abgeschlossen sein. In Vorbereitung der CEC-Privatisierung hat die rumänische Regierung per Dringlichkeitserlass verfügt, dass ein Paket von bis zu 5 Prozent der Aktien an die Mitarbeiter und die Mitglieder des Verwaltungsrates verkauft werden soll.
Der Wert der CEC wird laut einem Bericht der rumänischen Nachrichtenagentur Rompres vom Dienstag auf 500 Mio. Euro geschätzt. Unter den Bietern für das zum Verkauf angebotene Paket von 75 Prozent sind neben der RZB-Tochter Raiffeisen International (RI) aus Österreich auch die Banca Monte dei Paschi di Siena, die griechische EFG Eurobank Ergasias, die National Bank of Greece, die ungarische OTP Bank und die französisch-belgische Dexia. Raiffeisen hat zuletzt erklärt, gute Chancen für einen CEC-Zuschlag zu sehen. Zwei Kandidaten der ersten Runde – Rabobank und Societe Generale – haben inzwischen ihr Interesse zurückgezogen. Weil die Erste Bank bei der BCR zum Zug kam, verfolgt sie auch ihr früheres Interesse an der CEC nicht weiter. Erste-Bank-Chef Andreas Treichl bestätigte heute, dass er den rumänischen Finanzminister Sebastian Vladescu offiziell vom Rücktritt der Erste Bank aus dem Bieterverfahren um die CEC informiert habe.

Zögerlicher Beginn
Zunächst war die Reform des Bankensystems in Rumänien viele Jahre nach der Wende 1989 kaum vorangekommen. Der Beginn des Privatisierungsprozesses in Bankensektor liegt erst acht Jahre zurück, als die Rumänische Bank für Entwicklung (BRD) 1998 von der französischen Societe Generale übernommen wurde. Ein Jahr später wurden 45 Prozent der Bancpost an die General Electric Capital Corporation und die Banco Portugues de Investimento verkauft; 2002 wurde dann das Bancpost-Mehrheitspaket von der griechischen Eurobank Ergasias übernommen.
2001 erfolgte die Privatisierung der Banca Agricola (BA), die an die Raiffeisen Zentralbank (RZB) verkauft wurde. BA war damals erheblich verschuldet – im Vorfeld der Privatisierung wurden ihr die Schulden jedoch von Gläubiger, dem rumänischen Staat, erlassen.

Fortsetzung 2005
Die Privatisierungen wurden 2005 im Eiltempo fortgesetzt: Die rumänische Bank-Austria-Tochter HVB Bank Romania schluckte um 248 Mio. Euro die Bank des Ex-Tennisstars Ion Tiriac. Die Eurom Bank wurde an die zweitgrößte israelische Bank, Leumi, verkauft.
Den Höhepunkt stellte jedoch im Dezember 2005 der Verkauf eines Mehrheitspakets von 62 Prozent der Banca Comcerciala Romana (BCR) an die Erste Bank Austria für 3,75 Mrd. Euro dar – ein Rekorddeal sowohl für die rumänische, als auch für die österreichische Seite.
Viel bescheidener dürfte hingegen der Kaufpreis ausfallen, den man für die Sparkasse CEC erzielen wird. Medienberichten zufolge wurden für 75 Prozent der CEC-Aktien bisher höchstens 300 Mio. Euro geboten. Selbst Premierminister Calin Popescu Tariceanu warnte vor allzu hohen Erwartungen in bezug auf die CEC: „Was die finanzielle Performance betrifft, liegt die CEC, die bisher Verluste schreibt, weit hinter der BCR. Wir werden keinesfalls einen ähnlichen Preis erzielen können wie für die BCR, da sollten wir uns keine falschen Hoffnungen machen“, so Tariceanu. Kritiker warfen daraufhin dem Premierminister vor, durch diese Äußerungen die Chancen für einen erfolgreichen Verkauf der CEC gemindert zu haben.
Quelle: http://derstandard.at/?url=/?id=2299851

Sparkassen-Privatisierungs-News aus Hessen

Die Frankfurter Rundschau berichtet:
„Das wollen wir nicht“. Sparkassen-Novelle in der Kritik
Frankfurt a.M. · Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), das Land Thüringen und die Nassauische Sparkasse äußern Kritik an den Plänen der hessischen Landesregierung, der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) aus Wettbewerbsgründen den Kauf weiterer Sparkassen zu ermöglichen.
„Das ist nicht die richtige Antwort“, sagte DSGV-Präsident Dietrich Hoppenstedt zu dem Gesetzentwurf der Regierung. Die öffentlich-rechtliche Finanzgruppe könne in ihrer jetzigen Struktur das Privatkundengeschäft erfolgreich betreiben – mit dezentralen Sparkassen und Landesbanken, die sich um Firmenkundengeschäft und Investmentbanking kümmerten.Der Erfolg im Privatkundengeschäft hänge nicht von der Institutsgröße ab, ergänzte er. Der Sparkassen-Präsident warnte davor, die Gruppe schwächen oder gar auflösen zu wollen. Eine Änderung der Sparkassengesetze in den Ländern zur Bildung von Stammkapital wäre ein erster Schritt um die jetzt kommunal verankerten Sparkassen handelbar und damit verkäuflich zu machen. „Das wollen wir nicht. Wir wollen treuhänderische Träger und keine Eigentümer“, sagte er.
Das Land Thüringen kündigte Widerstand gegen das Vorhaben seines Nachbarn an. Thüringen ist an der Helaba mit fünf Prozent beteiligt, Hessen mit zehn Prozent. Die restlichen Anteile liegen beim Sparkassenverband beider Länder. „Thüringen sieht durch den hessischen Vorstoß die Interessen seiner Sparkassen berührt“, sagte ein Sprecher des Erfurter Finanzministeriums.
Die Nassauische Sparkasse sieht die Gefahr, dass die Landesregierung mit der Gesetzes-Novelle entgegen ihrer erklärten Absicht ein „Einfallstor für Private“ schafft. Ihr stellvertretendes Vorstandsmitglied Bertram Theilacker sagte, es sei nicht auszuschließen, dass die Geschäftsbanken bei der EU-Kommission mit Erfolg eine Wettbewerbsverzerrung monieren würden, falls das Gesetz den Verkauf einer Sparkasse auf Schwesterinstitute beschränkt. Medienberichte, wonach der private Bankenverband bereits über eine Klage nachdenke, bezeichnete der Sprecher des Verbandes als „reine Spekulation“. sal/rtr“
FR vom 17.11.2005