Krise wird zur Krise der Kommunen und der föderalen Demokratie

Als Standorte von Schuldenbergen sind die Städte und Gemeinden in den letzten Tagen beschrieben worden, ob nun vom „Deutschen Städtetag“ oder von Kommunalpolitikern in führenden Positionen, angefangen von Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die CDU-Politikerin hat dies als Städtetagspräsidentin getan, auch über Parteigrenzen hinweg, wobei es sich beim „Schuldenberg“ ganz offensichtlich nicht um eine inflationär missbrauchte Redefigur handelt, wie zuletzt im Wahlkampf.

Nein, das insbesondere für die FDP temporäre Spätsommerthema ist nicht durch. Diesmal sollte der Bürger den „Schuldenberg“ ernst nehmen, denjenigen unmittelbar vor seiner Haustür. In einigen Städten werden also die Straßenreinigungsgebühren steigen.

Als Kenner von Schuldenbergen kündigt der „Städtetag“ die schwerste Finanzkrise der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik an. Das betrifft nicht allein Krisenregionen, die seit Jahrzehnten einen solchen Ruf weghaben, darunter etwa das Ruhrgebiet, wo zuletzt 19 Kommunen sich wegen des Bankrotts zu einer, wie man lesen konnte, Bewegung zusammengeschlossen haben, um in einem Memorandum Geld zu fordern. Die Adresse ihrer Denkschrift ist das Düsseldorfer Finanzministerium.

Es ist keine neue Einsicht, dass sich die Städte und Gemeinden zu Sammelstellen nicht mehr überschaubarer Schulden entwickelt haben. Die Städtetagspräsidentin spricht davon, dass „ein Teil der Städte vor dem Kollaps“ stehe. Seit 2003 beklagt der „Städtetag“ die Misere, damals wurde die Kritik in aller Schärfe an Rot-Grün in Berlin gerichtet.
Schon vor sieben Jahren sprach der „Deutsche Städtetag“ von einer „verheerenden Finanzlage der Städte“, und das sagte er nicht, weil es ihm ein Anliegen war, endlich ein offenes Wort über die Schlaglöcher auf Deutschlands innerstädtischen Straßen zu verlieren.

Schon vor Jahren beklagte Städtetag schlechte Finanzlage
Wenn man dem „Deutschen Städtetag“ heute zuhört, dann haben sich die Voraussetzungen wegen der weltweiten Finanzkrise weiterhin verschärft. In diesem Jahr werden 12 Milliarden Euro Schulden erwartet. Wie schon damals gilt: Die Kommunen, mit den Problemen der Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt beauftragt, mit der Regelung der Flüchtlings- und Aussiedlerintegration konfrontiert, nicht zuletzt mit der Bewältigung der Sozialhilfe, sehen das demokratische Dienstleistungssystem Stadt gefährdet. Dies umso mehr, als sich das Steueraufkommen zur Finanzierung solcher Leistungen enorm verschlechtert hat.

Was damals galt, kann man heute in einer Endlosschleife, ohne das es deswegen falsch geworden wäre, nur wiederholen: Äußerst empfindlich die Verluste bei den Gewerbesteuereinnahmen, von der Großfirmen generös befreit sind, ganz anders als die aufstrebende Autowerkstatt im Hinterhof oder das handtuchgroße Sonnenstudio.
Das Verschwinden lange selbstverständlicher Dienstleistungen lässt sich an vielerlei ablesen, angefangen von der nicht durchgeführten Sanierung einer Turnhalle. Seit 2003 sind Stadtbüchereien geschlossen worden, Spielplätze, Schwimmbäder. Zur Austrocknung eines Angebots gehörte ein kulturelles Vielerlei, ja, auch das eine oder andere Theater, die moralische Anstalt im Großen wie im Kleinen – dazu zählt dann unmittelbar die Dichte des deutschen Kindertagesstättensystems.

Damals bereits protestierte der „Deutsche Städtetag“ gegen die Steuerpolitik des Bundes. Tatsächlich, ohne es auch so auszusprechen, war es ein Einspruch gegen die Fundamente unseres föderativen Systems, ein zaghaftes Veto gegen ein nicht nur ungerechtes fiskalisches System, sondern gegen ein politisches Missverhältnis. Das Widerwort machte deutlich, dass den Kommunen in der Auseinandersetzung mit dem Bund die Gleichberechtigung in der (finanz-)politischen Auseinandersetzung fehlt. Die Kommunen, anders als die Länder, können nicht als souveräner Verhandlungspartner im politischen Konflikt mit dem Bundesfinanzminister auftreten.

Nicht erst jetzt zeichnet sich ab, dass die Krise eine der essentiellen Grundlagen der Kommunen weiterhin unterhöhlen wird: die kommunale Selbstverwaltung. Die Kommune wird zum Bittsteller. In diesem Prozess wird sich die Konkurrenz zwischen städtischer Sozialpolitik und kommunaler Kulturpolitik weiterhin verschärfen, was wiederum weitere Strategien des flotten Outsourcings kultureller Leistungen beschleunigen wird.

In Wuppertal soll das Schauspielhaus geschlossen werden, nicht nur in der Hauptstadt wurden Musikschulen und Büchereien aufgegeben. Sportanlagen verwahrlosen. Die kulturelle Daseinsversorgung wurde ebenso ausgedünnt wie am Mercedesstandort Sindelfingen, wo Schulen zusammengelegt und Abenteuerspielplätze aufgegeben werden. In Oberhausen, einer Stadt, die bankrott ist, wird der Busfahrplan zusammengestrichen, Busse fahren nicht mehr bis 23, sondern nur noch bis 21 Uhr – mit Auswirkungen auf die Bilanzen des Theaters, der Kinos, der Kneipen.

Umspielt wird das, was ein bewusst in Kauf genommen Kulturabbau ist, durch eine (Kompensation! Kompensation!) Festivalisierung der Kulturpolitik. Seit den 1990er Jahren haben sich die Länder ebenso wie die Kommunen dem Eventmarketing verschrieben, ihm arbeiten Hände und Köpfe zu, um ein Museumsuferfest, einen Tag des offenen Films oder einen Tag des geöffneten Buches zu organisieren. Auch wenn die Halbwertzeit solcher Dienstleistungen am Kulturkunden kaum ein verlängertes Wochenende überschreitet, so tendiert der Event zur Dauerperformance.

Kulturelle Daseinsversorgung ist dagegen etwas anderes. Sollte der „Deutsche Städtetag“ nicht nur ein fiskalisches Anliegen haben, müsste er Interesse an einer Debatte über den Kulturförderalismus zeigen – mit allen Auswirkungen. Dies umso mehr, da es sich nicht um eine konjunkturelle Kulturkrise der Kommunen handelt. Solange die kommunale Kulturpolitik in der Bundeskulturpolitik keinen gleichberechtigten Verbündeten gegen die Berliner Finanzpolitik hat, wird sich das strukturelle Dilemma verschärfen.

Kulturelle Hypotheken für die Gesellschaft nicht absehbar
Angesichts dieser Strukturkrise ist ein weiterer Kollaps absehbar – ein Demokratie-relevanter. In dem Maße, in dem sich die Kommunen aus der Finanzierung kultureller Angebote verabschieden, verliert auch der Staat seine ständigen Vertretungen, Name, Anschrift, Gestalt. Wo sonst vergegenständlichen sich Demokratie und Gemeinwesen wenn nicht gerade in ihren Institutionen. Jede Schließung von Repräsentationsräumen des Staates dürfte mental nicht ohne Folgen bleiben.

Wo Jugendzentrum oder Schwimmbad, Stadtbücherei oder Abenteuerspielplatz nicht mehr genutzt werden können, wird das Vertrauen in das Dienstleistungssystem Demokratie empfindlich gestört. Schwimmbad oder Stadtteilbücherei, das Jugendzentrum oder der Spielplatz sind Schauplätze nicht allein der Partizipation und der Integration, sondern Kommunikationsräume, womöglich gar einer unausgesprochenen Loyalität zum Staat.

Welche Formen und feinen Unterschiede der Verwahrlosung dem finanziellen Ruin folgen werden, bleibt abzuwarten. Mit dem Abschied von bisherigen Dienstleistungen nimmt die Zivilgesellschaft eine erhebliche Hypothek auf sich.
Es wird halt gezockt, auch hier. Dazu muss man kein Finanzkenner oder womöglich ein städtischer Kämmerer sein, um sich ausrechnen zu können, dass diese weitere Schuldenaufnahme (Schuldenberganhäufung) das kulturelle Kapital des Städtischen (Autonomie und Toleranz, Partizipation und Integration) in eine weitere Rezession stürzen wird.

Quelle: FR, 4.2.2010

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