„Tiere in der Landwirtschaft“. Kaum ein Thema ist in der Wahrnehmung vieler Menschen so brisant und nicht zuletzt dank der Medien emotional besetzt. Diese Aufregung ist aber nur ein Effekt des verschobenen, gleichwohl dominanten Bildes der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft: Entweder werden die Bauern als naturnahe Genussmenschen idealisiert, oder als Giftmischer und Tierquäler diffamiert. Beide Bilder entsprechen nicht den Tatsachen. Ulrike Siegel lässt 19 Tierhalter und Tierhalterinnen über ihr Leben und Arbeiten berichten. Sie beschreiben in autobiografischen Geschichten ihren täglichen Umgang mit Tieren. Bei allen, egal wie viele Tiere sie halten, stehen ökonomische Notwendigkeiten in Konkurrenz zu ihren ethischen Vorstellungen. Aber alle leben mit den Tieren, nicht nur von ihnen.
Die Anzahl der auf den Höfen lebenden Tiere ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von knapp hundert Straußen oder von 90 bis zu 330 Milchkühen, von 600 Mastrindern, 800 Schweinen über 500 bzw. 1600 Schafe bis zu 7500, allerdings bei Tageslicht gehaltenen, Puten. Ebenso breit ist die Wirtschaftsweise, die vom Kleinbetrieb im Hochschwarzwald bis zum klassischen Schweinemast-Wachstumsbetrieb in Niedersachsen, vom Großbetrieb in Mecklenburg Vorpommern bis zum mittleren Biobetrieb in Schleswig-Holstein reicht.
Dementsprechend vielfältig sind die sehr authentischen und meist auch persönlichen Artikel. Alle Betriebe müssen sich mit dem Preisverfall und der mangelnden Bereitschaft der VerbraucherInnen, den notwendigen Preis zu entrichten, auseinandersetzen. Jede und jeder muss sich mit dem Ende jeden Tieres durch die Schlachtung beschäftigen, und fast alle Beiträge sprechen dieses Thema an. Allen ist das Tierwohl ein Anliegen, wenn auch aus unterschiedlichen Zielstellungen. Den einen primär aus ethischen Gründen, den anderen vorrangig aus betriebswirtschaftlichen („nur Tiere, die sich wohlfühlen, erbringen Höchstleistungen“). Alle verbringen sehr viel Zeit im Stall, die Milchbauern täglich bis zu sechs Stunden. Alle AutorInnen brauchen die Tiere, wollen sie aber nicht missbrauchen. Alle leben, interessanterweise nahezu unabhängig vom Technisierungsgrad oder Tierart, mehr oder minder im Rhythmus, den ihre Tiere ihnen vorgeben. Alle tragen gerne Verantwortung für ihre Tiere und einige ärgern sich manchmal über in ihren Augen weltfremde Tierfreunde, die ihre wirtschaftliche Situation nicht verstehen wollen. Das Buch macht deutlich, dass in kleineren Betrieben nicht automatisch die besseren Bedingungen herrschen, ein offener Kaltluftstall mit 150 Plätzen ist für Rinder besser als lebenslange Haltung im niedrigen, muffigen Anbinde-Stall mit 20 Tieren. Bei größeren Tierzahlen muss ein ausgeklügeltes Produktions- und Vermarktungskonzept aus dem erklärten Willen der Erzeuger resultieren, dann ist auch da eine tiergerechte Produktionsweise möglich.
Selbstverständlich würden „Tierquäler“ in solch einem Buch nicht schreiben, insofern ist es nicht repräsentativ und will es auch nicht sein. Es gibt aber einen hervorragenden Einblick in einige Höfe und zeigt viel von der Situation, dem Denken und Fühlen von heutigen Bauern und Bäuerinnen, und das jenseits aller Klischees.
Bernd Hüttner
Ulrike Siegel (Hrsg.): Der Bauer und das liebe Vieh. Menschen aus der Landwirtschaft erzählen von der Beziehung zu ihren Tieren, LV Buchverlag, Münster 2014, 189 Seiten, 14,95 EUR